Die Bezahlkarte für Asylsuchende wurde mit drei zentralen Versprechen beworben: Sie soll Schleuser bekämpfen, die Verwaltung entlasten und den zweckgebundenen Einsatz von Sozialleistungen sichern. Ursprünglich als migrationspolitisches Instrument verkauft, sollte Deutschland als Zielland unattraktiver werden. Doch Hamburg zeigt nun, wohin die Reise wirklich geht: Die Bezahlkarte wird auf Jugendliche im betreuten Wohnen ausgeweitet – Menschen, die weder zwangsläufig geflohen sind noch Überweisungen an Schleuser tätigen könnten.
Bei dieser Gruppe greifen die ursprünglichen Argumente schlicht nicht. Die Ausweitung entlarvt die vorgeschobenen Gründe und offenbart die wahre Absicht: Es ging nie nur um Migration, sondern um die systematische Kontrolle über die Teilhabe von Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Die Bezahlkarte an der vulnerabelsten Gruppe zu testen, war von Anfang an Kalkül – als Blaupause für ein neues sozialpolitisches Prinzip.
Deutschland ist kein Kartenland
Dabei setzt die Bezahlkarte auf ein System der rein elektronischen Kartenzahlung, das in Deutschland nicht flächendeckend existiert. In einem Land, das nach Italien europaweit am stärksten an Bargeldzahlungen festhält, bedeutet diese Restriktion eine drastische Einschränkung gesellschaftlicher Teilhabe. Trotz aller Diskussionen über Digitalisierung werden 51 Prozent aller Transaktionen noch immer bar abgewickelt -- mehr als jede zweite Zahlung. Etwa 19 Prozent der Geschäfte akzeptieren ausschließlich Bargeld, bei Dienstleistungen sind es sogar 27 Prozent. Für Visa-Debitkarten liegt die Akzeptanzrate im Einzelhandel bei nur 70 bis 80 Prozent.
Das Bargeldlimit von meist 50 Euro monatlich drängt Menschen in eine absurde Situation: Während 69 Prozent der Deutschen die Möglichkeit, Bargeld zu nutzen, als ziemlich oder sehr wichtig erachten, wird Asylsuchenden genau diese Möglichkeit verwehrt. Sie können nicht auf dem Flohmarkt einkaufen, wo Familien in prekären Lagen günstige Kleidung und Haushaltswaren finden. Der Flohmarkt mag für eine stilbewusste Großstadtjugend zu einem hippen Lifestyle-Event geworden sein, doch für Menschen mit geringem Einkommen bleibt er vor allem eines: existenzielle Notwendigkeit. Für ein paar gebrauchte Shirts, Hosen und eine Winterjacke zahlt man bar oft so viel wie für einen einzigen neuen Pullover in einem Geschäft, in dem Kartenzahlung möglich ist.
Ein gebrauchtes Fahrrad für 80 Euro erfordert zwei Monate Sparen – und die Hoffnung, dass es dann noch verfügbar ist. Dazu kommen Mindesteinkaufswerte bei vielen Händlern, die Transaktionsgebühren kompensieren sollen – wer nur ein Brot kaufen möchte, steht ohne Bargeld vor unnötigen Hürden.
Doch selbst wenn Deutschland flächendeckend auf Kartenzahlung umgestellt wäre, würde das die grundsätzliche Problematik nicht lösen. Im Gegenteil: Schon heute ermöglicht die digitale Infrastruktur der Bezahlkarte weitreichende Kontrollmechanismen, die das Ausmaß technischer Überwachung verdeutlichen. Geo-Blocking wird bereits in Sachsen umgesetzt und begrenzt die Nutzung auf bestimmte Landkreise.
Onlinekäufe sind nur eingeschränkt möglich, gängige Bezahldienste im Internet sind deaktiviert. Die Bezahlkarte ersetzt daher kein Bankkonto. Überweisungen oder automatische Abbuchungen sind nur in Ausnahmefällen erlaubt – teilweise nur nach behördlicher Genehmigung. Einen Handyvertrag abschließen, einen Vertrag kündigen oder eine Überweisung für den Schulausflug der Kinder zu tätigen, wird so zu einem bürokratischen Hindernislauf mit langen Wartezeiten.
Regionale Beschränkungen sowie sogenannte Händler- und Branchensperrlisten schließen gezielt bestimmte Geschäfte und Dienstleistungen vom Zahlungsverkehr aus. Diese Maßnahmen zeigen: Die Bezahlkarte ist weit mehr als ein bargeldloses Zahlungsmittel – sie ist ein digitales Instrument zur Kontrolle und Verhaltenslenkung.
Die Bezahlkarte ignoriert nicht nur die realen Zahlungspraktiken in Deutschland, sondern schafft eine Zwei-Klassen-Gesellschaft beim Bezahlen. Statt Integration zu fördern, macht sie Betroffene beim Bezahlen als 'anders' erkennbar und führt zu systematischer Ausgrenzung, die die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben untergräbt.
Zivilgesellschaft repariert das gewollte Versagen
Das fundamentale Versagen der Bezahlkarte zeigt sich besonders deutlich in den bundesweiten Tauschaktionen. In rund 70 Städten organisieren Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände und ehrenamtliche Helfer*innen einen simplen Dienst: Asylsuchende können mit ihrer Bezahlkarte Gutscheine kaufen und diese gegen Bargeld eintauschen. Die langen Schlangen zu Monatsbeginn sind ein eindeutiges Zeugnis dafür, wie dringend Menschen das benötigen, was ihnen das staatliche System verweigert.
Die Ironie ist offensichtlich: Ein System, das den angeblichen Verwaltungsaufwand reduzieren soll, erzeugt enormen zusätzlichen Aufwand – nur nicht bei den Behörden, sondern bei ehrenamtlichen Strukturen. Freiwillige organisieren Tauschaktionen, verwalten Gutscheine und investieren Zeit und Ressourcen, um ein fehlerhaft konzipiertes System zu reparieren. Die versprochene Entlastung entpuppt sich als Verlagerung der Verantwortung auf die Zivilgesellschaft.
Besonders zynisch wird diese Entwicklung durch Hamburgs Pläne zur Ausweitung. Obwohl die Probleme der Bezahlkarte längst bekannt sind und täglich in den Tauschaktionen sichtbar werden, soll das System auf weitere Gruppen übertragen werden. Was als pragmatische Lösung verkauft wurde, offenbart sich als ideologisches Projekt: Die systematische Beschneidung finanzieller Selbstbestimmung wird zur neuen Normalität erklärt, während die Zivilgesellschaft die entstehenden Schäden reparieren muss.
Der Testlauf läuft, die Kontrolle kommt
Was heute an Asylsuchenden getestet wird, soll perspektivisch auf Bürgergeld, Grundsicherung und andere Sozialleistungen ausgeweitet werden. Hamburg macht den ersten Schritt mit Jugendlichen im betreuten Wohnen, weitere werden folgen.
Statt Menschen zu befähigen, eigenverantwortlich über ihr Leben zu entscheiden, etabliert sich ein System digitaler Bevormundung. Die Bezahlkarte ist dabei nur der Anfang einer Entwicklung, die Menschenwürde und Selbstbestimmung systematisch untergräbt.
Die drei ursprünglichen Versprechen haben sich als Illusion erwiesen: Schleuser werden nicht bekämpft, die Verwaltung wird nicht entlastet, und zweckgebundene Nutzung funktioniert nur durch die Arbeit von Ehrenamtlichen. Was bleibt, ist ein System der Kontrolle und Ausgrenzung – als Testlauf für die Zukunft der deutschen Sozialpolitik.