Warum ist es wichtig, dass wir uns auf persönlicher und gesellschaftspolitischer Ebene mit diesen Themen beschäftigen?
Ein paar der Gründe habe ich im ersten Newsletter schon angeschnitten und möchte hier auf einiges genauer eingehen. Dieser Newsletter wird in zwei Teile aufgeteilt, weil es so viele Punkte zu besprechen gibt. In 2 Wochen geht es dann weiter.
Heute möchte ich vor allem die praktischen Hindernisse ansprechen, denen Menschen, die einer Minderheit in Deutschland angehören, begegnen. Zu fast jedem Punkt, den ich aufführe, wird es in den folgenden Wochen und Monaten eigene Newsletter geben, denn es gibt so viel zu sagen und lernen. Ich werde dann auch konkrete Beispiele aus meiner Forschung, Arbeit und Gesprächen mit Betroffenen anführen, die diese Punkte mehr verdeutlichen. Im zweiten Teil geht es darum, was die Prozesse und Erfahrungen von Migration/Flucht und Sterben/Tod miteinander gemeinsam haben.
Friedhofszwang und andere Vorschriften
Fangen wir mit konkreten Beispielen an, die zeigen, weshalb viele Menschen die Rahmenbedingungen und Normen, die von der Gesellschaft, Bestattungsindustrie und Systemen in Deutschland vorgegeben werden, als einschränkend bzw. diskriminierend erleben und dadurch viel Leid erfahren.
Die Bestattungsgesetze in Deutschland schreiben vor, dass alle Verstorbenen einen Ruheplatz auf einem Friedhof finden müssen, ob Feuer- oder Erdbestattung – der sogenannte „Friedhofszwang“. Die einzige Ausnahme ist die Seebestattung, doch auch diese hat viele Vorschriften. Das bedeutet, dass die Asche eines Verstorbenen nicht mit nach Hause genommen oder verstreut werden darf. Es gibt einige wenige Ausnahmen und „Grauzonen“ in den Gesetzen, aber diese sind lokal begrenzt und benötigen Wissen und Ressourcen.
Die Zeit spielt bei vielen religiösen und kulturellen Bestattungs-Traditionen eine wesentliche Rolle. In einigen Religionen und Kulturen ist eine schnelle Bestattung (unter 24 Std.) für das Seelenheil der Verstorbenen erwünscht. Das widerspricht der deutschen Gesetzeslage, die in den meisten Bundesländern vorschreibt, dass Bestattungen erst nach 48 Stunden stattfinden dürfen. Ausnahmen sind möglich, benötigen aber die Koordination vieler Beteiligter und manchmal auch Glück. Der Leiter des interkulturellen Hospizdienstes Dong Ban Ja Dr. Bhusal berichtete mir, dass er es nach vielen Jahren Zusammenarbeit mit Behörden und Bestattern schaffte, in Berlin Bestattungen innerhalb von 24 Stunden zu ermöglichen. Mehr dazu unten im Interview.
Im europäischen Vergleich gelten die deutschen Bestattungsgesetze daher als eine der diskriminierendsten und kompliziertesten. Die Bestattungsgesetze werden von den Bundesländern vorgegeben, und jede Kommune, ja jeder Friedhof scheint seine eigenen Besonderheiten zu haben. Diese gesetzlichen und organisatorischen Unterschiede verstehen meist nur Bestattungsinstitute und Behörden, was einen sehr abhängig von ihrem Wissen und ihrer Unterstützung macht. Diese starke Machtungleichheit bekommen vor allem Menschen zu spüren, die nicht von diesen Systemen und Institutionen mitgedacht werden.
Parameter von Leben und Tod
Vielen Bestatter*innen ist das nicht bewusst oder sie gehen nur bedingt darauf ein. Eine Lösung ist für einige migrantische Communities deshalb, eigene Bestattungsinstitute zu gründen oder, wenn finanziell und politisch möglich, die Bestattungen und Trauerfeiern im Ausland zu organisieren. In meiner Forschung bin ich dabei auf viel Leid und auch auf „illegale Praktiken“ gestoßen, die notwendig waren, weil es keine Unterstützung seitens der Behörden und Bestattungsdienstleister*innen gab.
Denn auch der Umgang mit menschlichen Überresten und Bestattungen ist stark reglementiert und beruht auf christlichen Überzeugungen sowie auf westlichen schulmedizinischen Konzepten über Leben und Tod. Damit setzen sie nicht nur die Grenzen und Bedingungen für die Bestattungspraktiken, sondern definieren auch wichtige Parameter für Leben und Tod.
Viele marginalisierte Personen haben nicht die Möglichkeiten, sich über die deutschen Pflege- und Bestattungssysteme zu informieren, weil sie sprachlichen Barrieren oder völlig fremden System begegnen. Sie haben zum Teil ihr Leben lang buchstäblich um ihr Leben gearbeitet, waren selten bei Ärzt*innen, kennen sich im Gesundheitssystem kaum aus oder haben nicht die Mittel, diese zu bezahlen. Auch darüber spricht Dr. Bhusal im Interview.
Hinzu kommt, dass es in der Fremde oft weniger oder kaum private und öffentliche Netzwerke gibt, die geflüchteten oder zugewanderten Menschen und ihren Angehörigen in diesen schwierigen Zeiten angemessen beistehen, verglichen mit den Netzwerken, die sie eventuell in ihrer (alten) Heimat hätten oder die der Mehrheitsgesellschaft zur Verfügung stehen. Das macht viele Menschen abhängig von den angebotenen Dienstleistungen und Institutionen, die sich meist kaum mit der Vielfalt an Praktiken und Vorstellungen von Tod und Sterben auskennen oder diese bedienen können (und teilweise auch wollen).
Zeit, Raum und Ressourcen
In meiner Masterarbeitsforschung, bei der ich die aktuelle Forschung und meine eigenen Befragungen zu hinduistischen Bestattungen in Europa und Deutschland analysiert habe, nannten viele das fehlende Wissen und nicht-existente Expert*innen, die sie in den Bestattungen und der Zeit der Trauer begleiten könnten, als Hauptprobleme. Die Trennung von religiösem, medizinischem oder kulturellem Wissen und sozialer Unterstützung kann das Leiden der Menschen im Exil und in der Diaspora verstärken. Viele haben deshalb Angst, in Deutschland zu sterben, wie der Mann im Anfangszitat und mir auch in meiner eigenen Forschung berichtet wurde.
Wie schon vorher erwähnt, benötigen viele Rituale und Praktiken migrantischer und geflüchteter Communities viel Zeit, Raum und Ressourcen, die von den Rahmen und Normen im deutschen Bestattungssystem abweichen. Für die Familien und Communities bedeutet dies häufig: mehr Kosten. Ich habe von einigen Menschen gehört, bei denen sich Communities und Familien unterstützt haben, um diese Mehrkosten zu stemmen.
Ich frage mich aber – wie (un-)gerecht und diskriminierend sind diese unterschiedlichen Standards und wie gehen Menschen damit um, die diese finanziellen Möglichkeiten nicht haben?
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