Zum Inhalt springen
3 Min. Lesezeit Fokus

„Wohnen ist ein Grundbaustein“ – QUEERHOME* für Geflüchtete

Diskriminierung, Wohnungslosigkeit und fehlende Schutzräume – queere Geflüchtete stehen bei der Wohnungssuche vor besonderen Hürden. Kathrin Schultz von der Initiative QUEERHOME* über intersektionale Beratung, strukturelle Probleme und die Notwendigkeit queer-inklusiver Wohnkonzepte.

„Wohnen ist ein Grundbaustein“ – QUEERHOME* für Geflüchtete
Fotograf*in: Barbara Dietl

Kathrin, was bedeutet queer-inklusives Wohnen?

Queer-inklusives Wohnen meint vor allem Sensibilisierung und Berücksichtung der Lebensrealitäten von queeren Menschen. Queers müssen sich im Alltag, auf der Arbeit, aber eben auch auf der Wohnungssuche und in der Nachbarschaft immer wieder mit struktureller Diskriminierung auseinandersetzen. Daher ist das Risiko für LSBTIQ+ besonders hoch, Erfahrungen mit Armut und Wohnungslosigkeit zu machen. Wenn dann auch noch andere Diskriminierungsdimensionen wie zum Beispiel Rassismus, Ableismus oder Klassismus wirken, steigt das Risiko der Benachteiligung enorm. Deshalb ist es wichtig, einen intersektionalen Ansatz zu verfolgen, der diese Überschneidungen sichtbar macht. Nur so kann sichergestellt werden, dass LSBTIQ+-Personen in ihrer Vielfalt wahrgenommen und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen entsprechend unterstützt werden.

Was genau macht ihr bei QUEERHOME*?

In erster Linie beraten wir bei Wohnungsnotfällen und langfristiger Wohnungssuche in Berlin. Wir stehen aber auch bei Problemen wie Mietschulden oder Nachbarschaftsstreit zur Seite und bieten Fortbildungen, Infogespräche und Workshops an, um die sogenannte “Regenbogen-Kompetenz” in der Wohnungsnothilfe zu stärken. Unser Ziel ist es, Fachkräfte gezielt zu schulen und eine Schnittstelle zu anderen queeren Beratungsstellen und Initiativen herzustellen. Dabei arbeiten wir immer intersektional. Das heißt: Wir beraten alle queeren Menschen unabhängig von Nationalität, Aufenthaltsstatus oder finanzieller Situation.

Vor welchen Herausforderungen stehen queere Geflüchtete, wenn sie eine Wohnung suchen?

Überall in Deutschland ist der Wohnungsmarkt sehr angespannt. Doch Queers haben es aufgrund von Brüchen im Lebenslauf oft besonders schwer – durch das Coming Out, weniger finanzielle Ressourcen und fehlende familiäre Strukturen. Viele Menschen müssen auch aufgrund ihrer Queerness aus ihren Heimatländern fliehen und wohnen in unzureichenden Unterkünften, manchmal sogar jahrelang in Mehrbettzimmern. Wenn dann auch noch die Sprachkenntnisse fehlen, gestaltet sich die Wohnungssuche als fast unmöglich.

Wie löst ihr das Problem der Sprachbarriere?

Wir haben ein großes internationales Team, das aus drei hauptamtlichen Personen, einigen Honorarkräften und vielen Ehrenamtlichen besteht. In unserem Team wird Deutsch, Englisch, Russisch, Ungarisch und Französisch gesprochen. Doch dank unserer Honorarkräfte können wir auf Anfrage auch in anderen Sprachen beraten. Das ist vor allem wichtig, wenn wir mit Geflüchteten arbeiten.

Wie viele queere Geflüchtete suchen denn eine Wohnung?

Die bislang einzige Studie zu Queers und Wohnungsnot in Deutschland spricht von 7000 bis 10.000 queeren Wohnungslosen in Berlin. Das ist der Stand von Dezember 2024. Insgesamt wird die Zahl der Wohnungslosen in Berlin auf 50.000 geschätzt, dazu kommen aber noch die Menschen, die in Geflüchteten- Wohnheimen leben. Und auch die Dunkelziffer von Menschen in verdeckter Wohnungslosigkeit ist sehr hoch. Es handelt sich bei der Studie also nur um grobe Schätzungen.

Wie viele Menschen wenden sich an euch?

QUEERHOME* hat jährlich 600 bis 700 Erstanfragen, davon haben mindestens 25 Prozent einen Migrations- oder Fluchthintergrund. Wir gehen davon aus, dass mindestens eine von zehn wohnungslosen Personen in Berlin zum queeren Spektrum gehört, doch nur fünf Prozent der Berliner Angebote sind queer- inklusiv aufgebaut.

Von welchen Erfahrungen erzählen euch queere Geflüchtete?

Wir hören sehr häufig von Situationen, in denen Queers aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und/oder sexuellen Orientierung in den Geflüchteten- Wohnheimen diskriminiert werden – sowohl von Mitarbeitenden als auch von anderen Bewohnerinnen. Aber auch wir von QUEERHOME machen die Erfahrung, dass es beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin (LAF) in allen möglichen Bereichen an Aufklärung mangelt. Queerness ist wie so oft ein Randthema. Wir bitten seit Monaten um eine Ansprechperson für LSBTIQ+ – bisher leider erfolglos. Das LAF sieht dafür keine Notwendigkeit, da ihrer Meinung nach alle Mitarbeiter*innen im Bereich Queerness geschult seien. Uns erreichen jedoch sehr viele Beschwerden über die Zustände in Geflüchteten-Wohnheimen und den Umgang mit queeren Menschen.

Bietet ihr auch selbst Wohnraum an?

Bisher können wir leider noch keinen eigenen Wohnraum anbieten, aber wir arbeiten daran! Aktuell vermitteln wir als Koordinierungsstelle alle Ratsuchenden an die entsprechenden Stellen weiter und begleiten diesen Prozess auf Wunsch.

Bislang ist QUEERHOME+ die erste und einzige Beratungsstelle für wohnungslose LSBTIQ+ im deutschsprachigen Raum. Warum ist es wichtig, dass andere Bundesländer nachziehen?

Wohnen ist neben Essen, Trinken und gesundheitlicher Versorgung ein Grundbaustein im Leben. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Freiheit, seine sexuelle und geschlechtliche Identität frei ausleben zu können. Beratungsangebote, die die Themen Wohnraum und Queerness zusammendenken, sind daher nur logisch und wir würden es begrüßen, wenn es in Zukunft mehr solcher Projekte wie QUEERHOME* geben wird. Denn: Vernetzung ist das A und O – vor allem mit Blick auf den aktuellen Rechtsruck und die immer stärker werdende Queerfeindlichkeit.


Schließe jetzt eine Membership ab!

Damit wir auch in Zukunft solche Recherchen umsetzen und weiterhin einen Raum für Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte schaffen können, sind wir auf deine Unterstützung angewiesen.

Teilen Teilen Teilen Teilen