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4 Min. Lesezeit Kolumne

Wir sind nicht gleich

In einem kleinen, kaum besuchten Café saßen sich zwei Männer gegenüber. Der eine, ein junger Geflüchteter, hielt die Tasse mit beiden Händen fest umklammert, als wollte er sich an der Wärme festhalten. Sein Gegenüber, ein schweigsamer älterer Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck, starrte ihn an, ohne

Wir sind nicht gleich
Fotograf*in: Kohero / KI-generiert

In einem kleinen, kaum besuchten Café saßen sich zwei Männer gegenüber. Der eine, ein junger Geflüchteter, hielt die Tasse mit beiden Händen fest umklammert, als wollte er sich an der Wärme festhalten. Sein Gegenüber, ein schweigsamer älterer Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck, starrte ihn an, ohne ein Wort zu sagen.

Der Jüngere von den beiden begann zu sprechen, seine Stimme leise, aber klar: „Wir sind nicht gleich, weil ich meinen Nachnamen falsch ausspreche, damit du ihn verstehst.“ Er sah, wie der Mann ihm gegenüber mit einer Augenbraue zuckte, blieb aber ungerührt.

„Wir sind nicht gleich, weil meine bloße Präsenz dir Angst macht.“ Seine Augen suchten die des anderen, fanden aber keine Reaktion, nur Kälte.

„Wir sind nicht gleich, weil du die Straßenseite wechselst, wenn du mich siehst und ich nicht.“ Er schnaubte leise, die Absurdität der Situation erdrückte ihn.

„Wir sind nicht gleich, weil dein Akzent als charmant gilt und meiner nicht.“ Der Geflüchtete lehnte sich ein Stück nach vorne, als wollte er die Distanz überbrücken, die sie trennte.

„Wir sind nicht gleich, weil ich mich klein machen muss, damit du groß sein kannst.“ Seine Worte waren mit Bitterkeit getränkt, aber seine Stimme blieb ruhig.

„Wir sind nicht gleich, weil dein Reisepass rot ist, während meiner dunkelblau ist und zwei schwarze Streifen hat.“ Er trank einen kleinen Schluck aus seiner Tasse, die Wärme des Tees war kaum noch spürbar.

„Wir sind nicht gleich, weil ich meine Religion verstecken muss, während du deine teilen kannst.“ Der Geflüchtete schüttelte leicht den Kopf, als ob die Worte ihm schwer auf der Seele lagen. „Weil deine religiösen Feste gefeiert werden und meine nur für Ärger sorgen.“

„Wir sind nicht gleich, weil mein Medizinstudium hier nur ein Hauptschulabschluss ist und deines nicht.“ Ein kurzes, bitteres Lächeln erschien auf seinen Lippen, verschwand aber schnell wieder.

„Wir sind nicht gleich, weil du den Job bekommst und ich nicht.“ Seine Augen wurden für einen Moment leer, dann fand er seine Entschlossenheit wieder.

„Wir sind nicht gleich, weil ich für das Image jedes Menschen, mit dem ich zu tun habe, geradestehen muss und du nicht.“ Er spürte die Last dieser Wahrheit auf seinen Schultern.

„Wir sind nicht gleich, weil ich für einen Like meinen Job verlieren kann und du nicht.“ Er legte die Hände auf den Tisch und blickte auf seine Finger, als ob er dort die Narben der Vergangenheit sehen könnte.

„Wir sind nicht gleich, weil ich bei Gewalt an die Opfer denke und du an die Täter.“ Der Geflüchtete hob den Kopf, seine Augen fixierten den Mann ihm gegenüber, als würde er eine Reaktion herausfordern.

„Wir sind nicht gleich, weil ich bei einem Anschlag hoffen muss, dass der Täter kein Geflüchteter war während du es dir wünschst.“ Ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust.

„Wir sind nicht gleich, weil ich bei jedem Anschlag ins Visier genommen werde und du nicht.“ Er fasste sich an den Hals, als ob er sich gegen die schneidende Klinge der Realität an seiner Kehle schützen wollte.

„Wir sind nicht gleich, weil ich mich von allem distanzieren muss und du von nichts.“ Er sah den anderen an, sein Blick war fest, aber müde.

„Wir sind nicht gleich, weil ich ein Terrorist wäre und du ein geistig Verwirrter.“ Er schüttelte den Kopf, als ob er nicht glauben konnte, wie tief die Kluft war.

„Wir sind nicht gleich, weil deine Wut als Patriotismus betrachtet wird und meine als Gefährdung.“ Die Worte kamen langsam, mit Gewicht.

„Wir sind nicht gleich, weil meine Unterkunft brennen wird und dein Einfamilienhaus nicht.“ Er schnaubte erneut, die Härte dieser Realität ließ ihn kaum noch atmen.

„Wir sind nicht gleich, weil du die Polizei rufst und ich sie fürchte.“ Ein Schatten legte sich über sein Gesicht, als die Erinnerungen zurückkehrten.

„Wir sind nicht gleich, weil ich beweisen muss, dass ich hier sein darf und du nicht.“ Der Schmerz in seiner Stimme war nun nicht mehr zu überhören.

„Wir sind nicht gleich, weil deine Kinder in die Zukunft blicken, während meine damit kämpfen, die Vergangenheit zu vergessen.“ Er fuhr sich durch die Haare, als wollte er die Erinnerungen wegwischen.

„Wir sind nicht gleich, weil deine Geschichte als Heldentum gefeiert wird und meine eine Last ist.“ Ein trauriges Lächeln spielte auf seinen Lippen, bevor es verschwand.

„Wir sind nicht gleich, weil du deine Worte frei äußern kannst und ich meine sorgfältig abwägen muss.“ Seine Stimme zitterte leicht, aber er hielt den Blickkontakt.

„Wir sind nicht gleich, weil du überall hingehörst und ich nirgends.“ Er sah dem anderen fest in die Augen, seine Worte wie ein Urteil.

„Wir sind nicht gleich, weil du du bist und ich ich.“ Seine Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern, aber jeder Buchstabe trug das Gewicht der ganzen Welt.

„Wir sind nicht gleich. Wir sind nicht gleich. Und wir werden es auch nie sein.“

Eine lange Stille folgte, das Café um sie herum wurde fast gespenstisch ruhig und die Welt schien sich für einen kurzen Moment nicht mehr zu drehen.

Der Jüngere nahm einen letzten Schluck aus seiner Tasse, setzte sie ab und blickte dem Älteren tief in die Augen. „Aber“, sagte er schließlich, „wir sind gleich, weil unsere Herzen beide dunkel und hart sind – meins, weil ich gehasst werde, und deins, weil du hasst.“

Die Worte hingen in der Luft, schwer und unausweichlich. Der Mann am anderen Ende des Tisches blieb still, sein Gesicht versteinert. Keine Antwort kam, nur die unendlich tiefe Stille, die ihre unausgesprochene Wahrheit bestätigte und ein Blick, in dem alles gesagt war.

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