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Wie wählen Menschen mit Migrationsgeschichte?

In Deutschland haben 12 % der Wahlberechtigten eine Migrationsgeschichte. Eine neue Studie zeigt: Sie wählen seltener und fühlen sich weniger an Parteien gebunden als der Rest der Bevölkerung.

Wie wählen Menschen mit Migrationsgeschichte?
Fotograf*in: Mika Baumeister auf Unsplashl

Laut dem Integrationsbarometer 2017 beteiligen sich nur zwei von drei wahlberechtigten Menschen mit Migrationsgeschichte an der Bundestagswahl. Warum ist das so? Liegt es daran, dass politische Parteien diese wachsende Wähler*innengruppe nicht gezielt ansprechen?

Diese Fragen hat das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in einer Studie untersucht, die zwischen Dezember 2023 und März 2024 durchgeführt wurde. Dafür wurden 2.689 Personen befragt – darunter 248 selbst Zugewanderte, 393 Kinder von Zugewanderten und 2.048 Personen ohne Migrationsgeschichte.

„Mit der Staatsbürgerschaft ist es nicht erledigt“

Anlässlich der anstehenden Bundestagswahl wurden die Ergebnisse am Freitag, den 24. Januar, in einer Pressekonferenz vorgestellt. Dr. Friederike Römer, Co-Leiterin der Abteilung “Konsens & Konflikt” am DeZIM, präsentierte zentrale Ergebnisse der Kurzstudie und diskutierte sie mit apl. Prof. Dr. Jannis Panagiotidis (Universität Wien) und Yunus Ulusoy (Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung).

,,Die Wahlbevölkerung mit Migrationshintergrund wird in Zukunft wachsen. Es muss noch viel getan werden, um diese Gruppen besser am politischen Willensbildungsprozess teilhaben zu lassen‘‘, so Römer. ,,Das Thema ist mit Erlangen der Staatsbürgerschaft nicht erledigt.‘‘ Ihrer Meinung nach sollten sozialpolitische Themen stärker in den Fokus rücken, um Wähler*innen mit Migrationsgeschichte gezielt anzusprechen. Besonders wichtig seien Anknüpfungspunkte wie Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, Lücken im Lebenslauf oder vorurteilsfreie Kriminalprävention.

Welche Parteien überzeugen – und welche nicht?

Ein Teil der Studie hat untersucht, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Befragten verschiedene Parteien wählen. Das Ergebnis: Die SPD liegt insgesamt vorne, besonders bei Menschen mit europäischer sowie türkischer, nahöstlicher und nordafrikanischer Migrationsgeschichte.

Die AFD hat zwar insgesamt das geringste Wählerpotenzial, erreicht aber in allen Gruppen etwa 20 %. Besonders auffällig: Unter postsowjetischen Befragten liegt der Wert sogar bei 29,2%. Gleichzeitig schneidet die CDU/CSU in dieser Gruppe am besten ab – mit 68,7 %. Ganz anders sieht es bei Menschen mit türkischer, nahöstlicher und nordafrikanischer Herkunft aus: Sie zeigten eine stärkere Neigung zu den Linken und zum Bündnis Sahra Wagenknecht.

Misstrauen, wirtschaftliche Sorgen und die Angst vor Rechtsextremismus

Was bewegt Menschen mit Migrationsgeschichte politisch? Die häufigsten Antworten: Wirtschaftliche Unsicherheit, Inflation, sozialer Zusammenhalt und Klimawandel. Ein Punkt fällt besonders auf: 14,4 % der Befragten mit türkischer, nahöstlicher oder nordafrikanischer Herkunft nannten Rechtsextremismus als eine der größten Sorgen – in der Gruppe der postsowjetischen Befragten waren es nur 4,7 %.

Hinzu kommt ein generelles Misstrauen gegenüber politischen Parteien. Viele Menschen mit Migrationsgeschichte sehen sie nicht als Problemlöser. Dies liegt unter anderem an fehlendem Vertrauen in das politische System, mangelnder Informationen oder eigener Diskriminierungserfahrung. „Für mich waren nur migrationsbezogene Faktoren ausschlaggebend. Also, welche Partei nimmt mich wahr und akzeptiert mich?“, berichtet Yunus Ulusoy aus seiner eigenen Erfahrung. „Das war in den 2000er Jahren für uns entscheidend. Für die 3. Generation ändern sich diese Vorstellungen.“

Ein weiteres Ergebnis: Menschen mit Migrationsgeschichte machen sich häufiger Sorgen um ihre finanzielle Zukunft. 63,4 % gaben an, dass sie sich um ihre wirtschaftliche Situation Gedanken machen. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund waren es 46,7 %. Auch Altersvorsorge, Wohnsituation und Kriminalität werden häufiger als Probleme genannt.

Obwohl Menschen mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Diskurs oft als Täter*innen dargestellt werden, äußerten viele von ihnen Sorgen, selbst Opfer von Straftaten zu werden. Ein Widerspruch, der zeigt, wie stark sich gesellschaftliche Vorurteile und persönliche Unsicherheiten überlagern.

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