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Wie prägt ein Krieg meine Generation?

Trotz des Sturzes von Assad hat die syrische Gemeinschaft weiterhin viel Trauer zu bewältigen. Die UN kündigt Pläne für den Wiederaufbau sowie Sanktionslockerungen an.

Wie prägt ein Krieg meine Generation?
Fotograf*in: Emad El Byed auf unsplash.com

Gestern Abend habe ich Facebook geöffnet, um zu sehen, was passiert und was es Neues in der syrischen Community gibt. Ich habe hier schon öfter erzählt, dass Facebook der wichtigste Kanal ist, um die syrische Community zu erreichen. Fast alle Syrer*innen, die im Exil oder in Syrien leben, nutzen Facebook intensiv — sei es, um Geschichten zu teilen, Humor zu verbreiten oder einfach miteinander in Kontakt zu bleiben.

Ich bin in einer Gruppe aus meinem Heimatbezirk. Als ich sie öffnete, sah ich dort Bilder von Menschen, die in Syrien gestorben sind. Unter diesen Bildern erkannte ich die Fotos von vier Schulfreunden, die wegen des Krieges gestorben sind. Assad hat sie getötet. Das war ein schockierender Moment. Es stellt sich die Frage, wie man mit so etwas umgehen soll – mit dem Verlust von Schulfreunden. Sie sind nicht nur im echten Leben, sondern auch auf Facebook und den sozialen Medien präsent, wie Geister der Vergangenheit.

Aufgrund der Flucht „leben“ viele Syrer*innen schon lange auf Social Media. Sie freuen sich auf Facebook und müssen ihr Beileid auf Facebook bekunden. Darüber habe ich auch schonmal einen Beitrag in meiner taz-Kolumne Hamburger, aber halal geschrieben.

Vor etwa einer Woche habe ich zufällig mit einem alten Schulfreund gesprochen. Er war bei meinem Bruder, als ich ihn anrief. Wir kamen ins Gespräch, und er erzählte mir von weiteren Schulfreunden, die ebenfalls wegen des Krieges gestorben sind. Ich fragte nach weiteren Bekannten. Doch er sagte mir, dass auch sie nicht mehr leben.

Das hat mir deutlich gemacht, wie sehr der Krieg meine Generation getroffen hat. Es sind nicht nur meine, sondern auch die jüngeren Generationen, die massiv unter dem Krieg gelitten haben – und immer noch leiden. Obwohl wir Erleichterung und Freude darüber empfinden, dass Assad gestürzt ist, bleibt ein großes Thema: Viele Menschen haben ihr Leben verloren. Auch viele meiner Freunde und Nachbarn sind verschwunden. Niemand weiß, ob sie leben oder tot sind. Niemand weiß, wie sie gestorben sind.

Das ist eine offene Wunde, die noch sehr lange schmerzen wird, bevor sie heilt. Ich will hier keine Tragödie erzählen, sondern aufzeigen, wie der Krieg uns alle geprägt hat. Wie er unser Leben, unsere Suche nach Normalität und unsere Generation beeinflusst hat. Auch wenn Assad weg ist, wird der Schmerz bleiben.

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Eine kurze Zusammenfassung der Lage:

UN-Wiederaufbaupläne und internationale Konferenzen:

Adam Abdelmoula, UN-Koordinator in Syrien, kündigte Pläne für den Wiederaufbau an, der in Kooperation mit der neuen Regierung in Damaskus erfolgen soll. Bedingung ist jedoch ein erfolgreicher politischer Übergang.

Die Golfstaaten planen im Frühjahr eine Geberkonferenz, während Frankreich eine Konferenz zur Lage in Syrien für den 13. Februar ankündigte. Paris betonte, dass die Zukunft Syriens von den Syrer*innen bestimmt werden sollte und rief dazu auf, eine Ausnutzung der Situation durch ausländische Mächte zu verhindern.

EU-Sanktionspolitik:

Ein inoffizielles EU-Dokument sieht unter strengen Bedingungen eine mögliche Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien vor. Diese richtet sich u. a. gegen Terrorfinanzierung und soll sicherstellen, dass Syrien kein Zufluchtsort für Terrorgruppen wird. Die Streichung von Organisationen wie „Hayat Tahrir al-Sham“ von der EU-Terrorliste wäre an klare Auflagen und gemeinsame Bewertungen geknüpft.

Rückkehr syrischer Geflüchteter:

In Belgien ist erstmals eine größere Gruppe syrischer Geflüchteter (24 Personen) freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt.

Staatsangestellte:

Die Übergangsregierung in Syrien prüft rund 1,3 Millionen Staatsangestellte, um Scheinarbeitsverhältnisse aufzudecken und die Gehaltslisten zu bereinigen.

Freiwilligeninitiative in Damaskus:

Unter dem Motto „Wir sind zurück, o Scham“ (arabisch: „رجعنا يا شام“, "Scham" ist eine Bezeichnung für Damaskus auf arabisch) läuft in Damaskus eine großangelegte Verschönerungs- und Reinigungsaktion, an der sich verschiedene syrische Organisationen und Freiwilligenteams beteiligen. Dazu gehören Müllentsorgung, das Räumen blockierter Straßen, das Entfernen zerstörter Fahrzeuge sowie das Bepflanzen von Grünanlagen.

Wiederaufbau des Bildungssektors:

Laut Bildungsministerium plant die Regierung die zügige Instandsetzung bzw. den Wiederaufbau tausender zerstörter Schulen. Internationale Organisationen sind in die Erhebung des Bedarfs eingebunden. Schätzungen zufolge benötigen rund 10.000 Schulen eine umfassende Renovierung, weitere nur teilweise.

Aufarbeitung schwerer Verbrechen und Justiz:

Robert Petit, Leiter des Internationalen, Unabhängigen und Unparteiischen Mechanismus (IIIM) zur Untersuchung schwerer Verbrechen in Syrien, unterstrich die Bedeutung einer syrisch gesteuerten Lösung für Rechenschaft und Gerechtigkeit. Er sieht eine große Menge neuer Beweise vorliegen, die nun ausgewertet werden können.

Ein französisches Gericht hat zum zweiten Mal einen Haftbefehl gegen Baschar al-Assad erlassen, im Zuge von Ermittlungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Angriffen auf Zivilpersonen in Syrien.

Humanitäre Lage und Gesundheitssystem:

„Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) weist auf einen „dringenden Bedarf“ internationaler Finanzhilfen für den Wiederaufbau hin. Angesichts fehlender Mittel, hoher Kraftstoffkosten und knapper Medikamente verschärfen sich die Versorgungsprobleme in syrischen Krankenhäusern. Infektionskrankheiten breiten sich weiterhin aus.

Innerhalb von weniger als zwei Monaten kamen nach Angaben des Syrischen Zivilschutzes (Weißhelme) 40 Zivilist*innen durch Kriegsrückstände ums Leben, darunter mehrere Kinder.

Suche nach US-Journalist Austin Tice:

Debra Tice, die Mutter des seit rund zwölf Jahren verschollenen US-Journalisten Austin Tice, hofft, dass die neuen Regierungen in Syrien und den USA bei der Suche nach ihrem Sohn helfen. Der Sturz von Baschar al-Assad im Dezember habe die Suche erschwert. Trotzdem zeigte sie sich zuversichtlich, da die neue US-Regierung bereits Kontakt mit ihr aufgenommen habe.

Glückwünsche an Donald Trump:

Ahmed al-Schara, Leiter der neuen syrischen Regierung, gratulierte Donald Trump zu dessen Amtseinführung. Er betonte die Notwendigkeit einer gemeinsamen Anstrengung für Frieden im Nahen Osten und äußerte den Wunsch, das Verhältnis zwischen Syrien und den USA zu verbessern.

UN berät über israelische Besetzung der Golanhöhen

Der UN-Sicherheitsrat hat eine Sitzung abgehalten, in der die Situation der UN-Truppen in den besetzten syrischen Golanhöhen erörtert wurde. Im Mittelpunkt standen dabei die praktischen Herausforderungen, mit denen die United Nations Disengagement Observer Force (UNDOF) aufgrund israelischer Aktivitäten in der Pufferzone konfrontiert ist.

Generalleutnant Patrick Gauchat, der derzeit als Leiter der United Nations Truce Supervision Organization (UNTSO) fungiert und vorübergehend das Kommando über die UNDOF innehat, gab in seiner Unterrichtung einen Überblick über die Auswirkungen dieser israelischen Aktivitäten. Er nannte unter anderem die Errichtung von Kontrollpunkten sowie Bauarbeiten mit schwerem Gerät in der Pufferzone und bezeichnete diese als Verstoß gegen das Abkommen über die Truppenentflechtung von 1974.

Gauchat erläuterte weiter, dass die Präsenz israelischer Truppen und deren Infrastruktur in der Pufferzone die täglichen Einsätze der UN-Truppen stark beeinträchtige. So sei die Anzahl ihrer Einsätze vor Ort von 55 bis 60 pro Tag auf lediglich zehn logistische Missionen gesunken.

Zudem übermittelte Gauchat Beschwerden von Bewohner*innen der besetzten syrischen Golanhöhen über Praktiken der israelischen Besatzung, darunter Durchsuchungen und Festnahmen. Er betonte, dass die Vereinten Nationen daran arbeiten, diese Beschwerden durch eine Intensivierung der Kommunikation mit den beteiligten Parteien zu bearbeiten.

Abschließend rief Gauchat alle Parteien dazu auf, die Bestimmungen des Abkommens von 1974 einzuhalten und den UN-Truppen eine ungehinderte Ausübung ihrer Aufgaben zu ermöglichen. Er hob zudem die Bedeutung der Aufrechterhaltung des Waffenstillstands in der Region hervor.

Es ist zu beachten, dass Generalleutnant Gauchat die UNDOF-Mission nur vorübergehend leitet, bis der neu ernannte Befehlshaber sein Amt offiziell übernimmt.

Pläne für Sanktionslockerungen vorgelegt

Zwei Dokumente, die der Nachrichtenagentur „Reuters“ vorliegen, belegen einen breiten Konsens unter den EU-Staaten über die Notwendigkeit, die gegen Syrien verhängten Sanktionen zu lockern. Damit soll ein positives Signal zur Unterstützung des Übergangsprozesses und der neuen Behörden gesendet werden.

Die beiden Dokumente legen einerseits die Optionen zur Unterstützung des Übergangs in Syrien dar und enthalten andererseits eine Roadmap für eine schrittweise Lockerung der Sanktionen. Über diese Fragen soll am 27. dieses Monats bei einem Treffen der EU-Außenminister*innen in Brüssel beraten werden.

In dem vorgeschlagenen Fahrplan rufen einige EU-Staaten zu Vorsicht auf und betonen, dass man sich einen gewissen Einfluss gegenüber der neuen Führung erhalten müsse, falls sich die Lage nicht wie erwartet entwickelt. Sie fordern einen „graduellen Ansatz“.

Die Roadmap weist darauf hin, dass bestimmte bestehende Sanktionen, darunter jene im Zusammenhang mit Waffen und mit dem Assad-Regime verbundenen Einrichtungen, nicht ausgesetzt werden.

Zu den in dem von der EU erarbeiteten Papier genannten Unterstützungsoptionen gehören eine Ausweitung der humanitären Hilfe, eine schrittweise Förderung des Wiederaufbaus sowie die Überlegung, syrischen Geflüchteten in Europa während einer Übergangsphase Reisen in beide Richtungen zu ermöglichen.

Schwankende Inflationsrate

Die Bank erklärte in ihrem Bericht, dass die allgemeine Inflationsrate zwischen Dezember 2023 und November 2024 bei 67,4 % lag und damit höher ausfiel als im Libanon und der Türkei.

Der Bericht weist darauf hin, dass der vergangene November von einem Rückgang der Inlandsnachfrage nach Bestandteilen des grundlegendsten Warenkorbs geprägt war. Ursache dafür waren sinkende Einkommen und stark steigende Preise, was zu einer nahezu vollständigen Erosion der Kaufkraft selbst für einfachste Güter und den täglichen Bedarf führte und die Verkaufsbewegung deutlich abschwächte.

Die monatliche Inflationsrate für November 2024 betrug 0,1 % und lag damit unter den 3,1 % des Vormonats desselben Jahres.

Betreffend der Inflationsraten von 2011 bis 2024 zeigen die Daten der Bank ein Auf und Ab je nach Jahr. Während sie 2011 noch bei rund 5,9 % lag, erreichte sie 2024 einen Wert von 67,4 %. In diesem Zeitraum stieg die Inflationsrate 2023 auf ihren Höchstwert von 112,1 %, während sie 2018 mit 0,7 % ihren niedrigsten Stand verzeichnete.

Zölle sollen syrische Wirtschaft stärken

Der Leiter des Zollamts in Tartus, Riad Dschudi, bestätigte die Aufhebung des mit dem russischen Unternehmen geschlossenen Abkommens zur Bewirtschaftung des Hafens von Tartus. Er wies darauf hin, dass sämtliche Einnahmen nun dem syrischen Staat zufließen.

Laut Dschudi werde man das Personal wieder in seinen ursprünglichen Stellen im Hafen einsetzen. Zudem sollen die überalterten Maschinen instand gesetzt, Gebäude und Freiflächen hergerichtet sowie Arbeitskräfte bereitgestellt werden, um alle Anforderungen des Hafens zu erfüllen.

Weiter erklärte Dschudi, dass die sehr hohen Gebühren und Abgaben aus der Zeit des „früheren Regimes“ den Betrieb des Hafens von Tartus lahmgelegt hätten. Die Regierung arbeite nun daran, die Abläufe neu zu strukturieren und zu organisieren. Dies solle jenseits von Bürokratie geschehen, wobei viele Verordnungen über die Allgemeine Behörde für Land- und Seegrenzen (al-Hai’a al-‘Amma lil-Ma’aber al-Barriya wal-Bahriya) angepasst würden, berichtet die Zeitung al-Watan.

Der Zollchef von Tartus machte außerdem deutlich, dass die Zollgebühren um 60 % gegenüber den bisherigen Sätzen gesenkt worden seien. Hohe Zölle blieben nur noch für bestimmte Produkte bestehen, um den heimischen Markt zu schützen.

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