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3 Min. Lesezeit Kolumne

Wie Orte uns verändern

Können Orte nicht nur unser Gefühlswesen, sondern auch unser Erscheinungsbild verändern? Dieser Frage geht Lina in dieser Ausgabe ihrer Kolumne „Salam und Privet“ nach.

Wie Orte uns verändern
Fotograf*in: Nicolas Solerieu auf unsplash

Die erste Reise meines Lebens in den Irak fiel in den Sommermonat August. Während meiner einmonatigen Reise durch die verschiedensten Städte und Dörfer der kurdischen Autonomiegebiete im Norden des Landes war kein Tag wie der andere.

Einzig konstant blieb nur die Temperatur, die jeden Tag bei mindestens 45 Grad Celsius, gerne auch 50 Grad Celsius, lag. Kein Grund zur Sorge, die wüstenähnlichen Temperaturen habe ich ohne größere Mühe weggesteckt. Ich würde sogar behaupten, dass sie um ein Vielfaches erträglicher waren als jene Temperaturen, die wir aus Deutschland und Europa kennen, was vermutlich an der trockeneren Luft liegt.

Doch kann es wirklich sein, dass wir uns im Ausland nicht nur psychisch, sondern auch physisch verändern?

Und auch wenn ich gerne über das Wetter vor Ort spreche, ist der Gegenstand dieses Artikels heute ein anderer. Denn neben den Temperaturunterschieden habe ich auch ganz persönliche Unterschiede festgestellt. Meine Haut wurde reiner, meine Haare glänzten mehr und ich wirkte im Großen und Ganzen viel gesünder und lebendiger. Diese Veränderungen blieben auch nicht unbemerkt, denn ich wurde nach den ersten Wochen mit Komplimenten nahezu überschüttet. Doch kann es wirklich sein, dass wir uns im Ausland nicht nur psychisch, sondern auch physisch verändern?

Für die Beantwortung dieser Frage, habe ich das Gespräch mit Menschen aus meinem Umfeld gesucht, welche ebenfalls Migrationsgeschichte haben. Konkret habe ich sie gefragt, ob sie Unterschiede im Vergleich zu ihrem Gemüt oder Aussehen in Deutschland wahrnehmen. Ihre Antworten überraschten mich.

„Es fühlt sich an wie eine Parallelwelt, als hätte man zwei Persönlichkeiten und lebt die zweite sozusagen im Ausland aus“, entgegnete mir eine Bekannte. Eine weitere äußerte: „Wenn ich in der Heimat bin, fühle ich mich frei und viel glücklicher.“ Eine weitere schließt sich ihrer Vorgängerin an: „Ich werde sehr emotional in der Heimat meiner Eltern, alles bringt mich zum Weinen und ich fühle mich irgendwie angekommen.“

Ihre Eindrücke bestätigen meine Vermutung, dass viele Menschen mit Migrationsgeschichte in jedem Fall ein anderes, oft emotionaleres und glücklicheres Gemüt im Ausland haben. Als ich meine Beobachtungen hinsichtlich meiner äußerlichen Veränderungen einer Freundin von mir schilderte, äußerte diese mir gegenüber einen Gedanken, der letztendlich auch meine Nachforschungen zu diesem Thema angestoßen hat. „Wenn wir Zuhause sind, spürt das unser Körper. Jede Zelle erkennt, dass sie an dem Ort ist, aus dem sie herkommt. Das macht uns schöner.“

Es ist, als ob unsere Seele aufatmet und unser Körper diesem Aufatmen folgt

Unabhängig von der wissenschaftlichen Standhaftigkeit dieser Aussage ist sie mir bis heute als sehr schöner Gedanke in Erinnerung geblieben. Vielleicht liegt in dieser simplen, aber tiefen Wahrheit eine Weisheit verborgen: Wenn wir an einem Ort sind, der uns vertraut ist, der uns an unsere Wurzeln erinnert und an dem wir uns geborgen fühlen, dann strahlen wir das auch nach außen aus.

Es ist, als ob unsere Seele aufatmet und unser Körper diesem Aufatmen folgt. Jede Zelle, jedes Lächeln, jede Bewegung scheint von diesem Gefühl der Zugehörigkeit und des Ankommens genährt zu werden. Die Heimat hat eine Art Magie, die uns verjüngt und unser inneres Strahlen hervorbringt. So wie meine Freundinnen beschrieben haben, dass sie sich in der Heimat freier, glücklicher und emotionaler fühlen, glaube ich, dass diese Gefühle unser wahres Wesen zum Vorschein bringen. Die Freude, die Tränen, die tiefen Emotionen – all das zeigt, dass wir in der Heimat eine Verbindung spüren, die uns ganz macht.

Vielleicht brauchen wir keine wissenschaftlichen Erklärungen, um diese Veränderung zu verstehen. Vielleicht reicht es, zu akzeptieren, dass wir tief in unserem Inneren immer eine Verbindung zu den Orten haben, die uns durch unsere Familiengeschichte geprägt haben. Und wenn wir diese Orte betreten, fangen wir an, ein Stück von uns selbst zurückzugewinnen.

Und so trage ich meine Zeit im Irak nicht nur in meinen Erinnerungen, sondern auch in meinem Herzen. Die Reise hat mir mehr gegeben als nur schöne Momente und neue Erfahrungen; sie hat mir gezeigt, dass unsere äußere Schönheit oft ein Spiegelbild unserer inneren Zufriedenheit und unseres emotionalen Wohlbefindens ist. In diesem Sinne ist die schönste Reise diejenige, die uns nicht nur geografisch, sondern auch emotional und seelisch näher zu uns selbst bringt – und das ganz ohne Tourguide und Reiseplan.

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