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Wie hoch ist deine Erfolgsquote in diesem Jahr?

In der sechsten Ausgabe vom Newsletter „migrantisch gelesen“ teilt Omid seine neuesten Buchempfehlungen mit. Diesmal geht es um Erfolgsquoten – und warum Null vielleicht die beste Quote von allen ist.

Wie hoch ist deine Erfolgsquote in diesem Jahr?
Fotograf*in: Declan Sun auf unsplash

Mein Name ist Omid Rezaee, freier Journalist, Buchenthusiast und dein persönlicher Buchkritiker. Willkommen zur sechsten Ausgabe von „migrantisch gelesen“!

Die folgenden Zeilen werden für diejenigen unter euch, die mich persönlich kennen, kaum glaubhaft klingen. Schließlich wissen sie, dass ich als Workaholic mit dem Konzept von Wochenenden und Ferien wenig anfangen kann. Trotzdem sage ich es:

Es ist Ende Oktober, und viele von uns beginnen darüber nachzudenken, ob wir die Vorsätze, die wir uns Anfang des Jahres gesetzt haben, tatsächlich erreicht haben. Bei mir liegt die Erfolgsquote bei geschätzten 0,01 Prozent – und viel Spielraum bleibt in den verbleibenden zwei Monaten dieses Jahres nicht mehr. Ein Grund zum Klagen? Zum Trübsal blasen? Das dachte ich auch – bis ich auf der Instagram-Seite von Dana von Suffrin ihr neuestes Buch entdeckte, das sie gemeinsam mit ihrem Co-Autor geschrieben hat. Darin plädieren sie für eine Null-Prozent-Erfolgsmethode.

In einer Welt, in der selbst Instagram- und TikTok-Influencerinnen – für mich die fragwürdigsten Content-Creatorinnen unserer Zeit, die von unserer verkürzten Aufmerksamkeitsspanne und unserer Faulheit leben – uns beim Doomscrollen ein schlechtes Gewissen machen, finde ich es besonders befreiend, sich für einen Moment von diesem Erfolgsdruck zu lösen. Mir hat dabei „Die 0%-Methode“ von Astrid Scheib und Robin Däutel, das Pseudonym der preisgekrönten Autorin Dana von Suffrin und des ausgezeichneten Musikers und Autors Sebastian Stuertz, sehr geholfen.

Tipp der Woche

Die 0%-Methode

„Die 0%-Methode“ von Astrid Scheib und Robin Däutel nimmt auf humorvolle Weise den Trend zur Selbstoptimierung aufs Korn. Das fiktive Autorenduo feiert das Nichtstun als legitime Lebensweise und lädt Leser*innen ein, sich von gesellschaftlichen Zwängen wie Produktivität und Perfektionismus zu befreien. Mit ironischen Ratschlägen und überzeichneten Lebensgeschichten präsentieren sie das Scheitern als Erfolgsrezept. Scheib und Däutel, hinter denen Sebastian Stuertz und Dana von Suffrin stecken, schaffen es, die Absurdität unserer Leistungsorientierung auf urkomische Weise zu entlarven – ein befreiendes Lesevergnügen für alle, die sich der Optimierungsfalle entziehen wollen.

Antichristie

Von der diesjährigen Shortlist des Deutschen Buchpreises möchte ich „Antichristie“ von Mithu Sanyal empfehlen. Dieser außergewöhnliche Roman bietet eine ebenso unterhaltsame wie tiefgründige Lektüre. Mit einem leichten Augenzwinkern und einer Erzählweise, die zwischen den Zeiten springt, stellt die indisch-polnischstämmige Autorin die Frage nach Identität in den Mittelpunkt. Was bedeutet es, sich selbst zu definieren, wenn die Geschichte voller Brüche und Widersprüche ist? Für mich war das Lesen dieses Buches eine vergnügliche Herausforderung – nicht nur, weil es so viele spannende Verweise auf historische Figuren und popkulturelle Themen gibt, sondern auch, weil es uns dazu anregt, über unsere eigene Rolle im postkolonialen Kontext nachzudenken.

In „Antichristie“ knüpft Mithu Sanyal an die postkolonialen Themen ihres Debüts „Identitti“ an, erweitert jedoch den Blick auf Kolonialismus und Widerstand. Die Protagonistin Durga, eine deutsch-indische Drehbuchautorin, findet sich plötzlich in London im Jahr 1906 wieder, mitten unter indischen Revolutionär*innen. Sanyal verwebt verschiedene Zeitebenen und historische Figuren mit popkulturellen und theoretischen Referenzen, was den Roman zugleich komplex und herausfordernd macht. Der ungewöhnliche Genre-Mix aus Zeitreise, Krimi und Essay wirkt stellenweise überladen, doch die humorvolle Erzählweise und die kritische Auseinandersetzung mit Kolonialgeschichte machen „Antichristie“ zu einer provokativen und intellektuell anregenden Lektüre.

Das war’s also für diese Ausgabe – mit einem Erfolgswert von vielleicht 0 %, aber dafür hoffentlich mit 100 % Lesevergnügen. Wenn du genauso viel Spaß beim Lesen hattest wie ich beim Schreiben, dann leite diesen Newsletter gerne weiter. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf die nächste Ausgabe und hoffe, du bist auch wieder dabei!

Wenn du andere Gedanken, Fragen, Anmerkungen oder Themenvorschläge hast, die dir beim Lesen dieser Ausgabe in den Sinn gekommen sind oder die du gerne im Newsletter sehen würdest, schreib mir gerne eine E-Mail an omid@kohero-magazin.de

Bis bald und liebe Grüße,

Dein Omid

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