Eine fast endlose Schar an Menschen, ein beunruhigendes Rot und Orange und in alarmierend großen Buchstaben „Schaffen wir das – nochmal?“. So zeigt sich das Cover des Spiegels vom September dieses Jahres. Abgebildet sind Geflüchtete auf der italienischen Insel Lampedusa. Das originale Foto sieht jedoch weitaus weniger bedrohlich aus. Und es stellt eher die Strapazen der Geflüchteten dar. Es ist nur ein Beispiel, wie Medien ein bestimmtes Narrativ um Migration und Flucht nutzen.
Die Kölner Silvesternacht 2015/16
Noch in den 1990er Jahren machte das Thema „Migration“ kaum mehr als 1 % der Gesamtberichterstattung aus. Doch spätestens mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ war das Thema dann täglich in so gut wie jedem journalistischen Medium zu finden.
Als es dann in der Silvesternacht 2015/16 in Köln zu einer Reihe an sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen kam, zeigte sich die einseitige Berichterstattung der deutschen Leitmedien. Einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zufolge stellten die öffentlich-rechtlichen TV-Sender ARD und ZDF die Täter als eine homogene Gruppe dar. „Damit werden die ‚Täter‘ als die ‚Anderen‘ („nordafrikanischer Raum“, „Flüchtlinge“) verortet und damit Sexismus und sexualisierte Gewalt kulturalisiert“ so die Studie.
Die Debatte nach der Silvesternacht fokussierte sich schnell auf die Konsequenzen für die homogene Tätergruppe – Abschiebungen und die Verschärfung der Asyl-Gesetzgebung. Eine Überarbeitung des derzeitig geltenden Sexualstrafrechts wurde laut der Studie in nur 3,1 % der Berichte angesprochen, auch die Thematisierung von toxisch männlichen Verhalten und normalisierter sexueller Gewalt in unserer Gesellschaft fehlte fast gänzlich.
Wie sehr bedroht die „Überlastung“ Deutschland wirklich?
Migrant*innen und Geflüchtete werden von den Medien eben genau darauf reduziert, dass sie eingewandert sind. Diese einseitige Darstellung kritisiert auch ARD-Reporterin Isabel Schayani. „Manche stecken die Menschen, die hier um Asyl bitten, eindimensional in die Opferkiste, andere malen ein krasses Bedrohungsszenario.“ So Schayani in einem Interview mit der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Doch nicht nur das Täter – Opfer Schema ist in der journalistischen Berichterstattung beliebt. Wie eingangs beschrieben, ist die „Überlastung“ Deutschlands durch eine zu hohe Anzahl Geflüchteter ein gern genommenes Frame. So auch das Spiegel-Titelbild, das durch die Masse an in Deutschland ankommenden Menschen und die Worte „Schaffen wir das – nochmal?“ suggeriert, dass noch mehr geflüchtete Menschen Deutschland überlasten würden.
„Übermedien“ Autor Frederik von Castell fragte Valeria Ferraro, die Fotografin des ursprünglichen Fotos, was sie von dem Spiegel Cover hielte. Ihre Antwort: Man habe sich beim Spiegel vermutlich bewusst darauf konzentriert, die lange Reihe der Menschen, statt den Gesamtkontext des Bildes in den Fokus zu nehmen. Das ursprüngliche Bild ist nämlich in Querformat aufgenommen.
Die Positivbeispiele
Von überlasteten Kommunen, Gemeinden und Städten, die mit der Aufnahme einer viel zu hohen Anzahl geflüchteter Menschen überfordert sind, ist durchaus häufig die Rede. Doch dass es auch Orte gibt, die problemlos mit der Aufnahme vieler Geflüchteten klarkommen, wird nur selten erwähnt.
In einem Bericht des WDR fragte sich der Moderator und Journalist Georg Restle, ob die Überforderung der Kommunen einiger Orts vielleicht „hausgemacht“ sei. Denn die Kommunen, die im Bericht als Positivbeispiel beleuchtet wurden, zeigten Strukturen, die auch an anderen Orten gut umsetzbar wären. So gebe es in Marburg beispielsweise einen Fachbereich, in dem Fachleute für Asyl, Integration und Arbeitsmarkt zusammenarbeiten. In Rüsselsheim setze man auch auf vorausschauende Wohnungsbaukonzepte, die die Unterbringung von Geflüchteten aktiv mit einbezieht; in Haltern am See seien es die ehrenamtlichen Vereine, die Hand in Hand mit der Stadt arbeiten und so die Integration der neu ankommenden Menschen unterstützen. Von Überlastung wird in diesen Kommunen nicht gesprochen.