Das Assads Regimes ist besiegt, aber wie geht es weiter? Wer verstehen will, wie es zu dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien kam, muss die Geschichte ab dem Jahr 1970 betrachten. Damals übernahm Hafez al-Assad durch einen Putsch die Macht. Im Jahr 2000 trat sein Sohn Baschar al-Assad die Nachfolge an und erbte die Herrschaft.
Es geht jedoch nicht nur um eine einzelne Person, sondern um ein ganzes System, das seit Jahrzehnten Massaker an der syrischen Bevölkerung verübt hat. Die Unterdrückung politischer Gegner, die brutale Niederschlagung von Protesten und die systematische Anwendung von Folter haben das Assad-Regime geprägt.
Ein Wendepunkt war der Arabische Frühling: Dieser brachte die Ideen von Freiheit und Demokratie in die Köpfe vieler arabischer Völker. Auch in Syrien forderte die Bevölkerung grundlegende Veränderungen. Doch anstatt auf die Forderungen einzugehen, antwortete das Regime mit extremer Gewalt.
Seit 2011 hat sich Syrien in ein Schlachtfeld internationaler Konflikte verwandelt. Die syrische Bevölkerung litt unvorstellbar: Flugzeugangriffe und Bombardierungen zerstörten Städte und Dörfer, Foltergefängnisse und willkürliche Verhaftungen verbreiteten Angst und Schrecken und Millionen Menschen mussten fliehen und leben heute unter oft unwürdigen Bedingungen in Lagern oder verstreut in der ganzen Welt. Die Flucht bedeutete für viele jedoch nicht das Ende des Leidens. In ihren neuen Heimatländern kämpfen sie häufig mit Rassismus und Diskriminierung. Das Ausmaß dieses Leids lässt sich kaum in Worte fassen.
Assad selbst machte seine Haltung deutlich: „Ich oder das Land wird verbrannt.“ Dieser Satz ist zum Sinnbild seiner Politik geworden. Tatsächlich hat er das Land zerstört und die Hälfte der Bevölkerung vertrieben. Lange konnte Assad sich auf die Unterstützung von Russland und Iran verlassen. Doch die internationale Lage hat sich verändert: Der Angriffs-Krieg in der Ukraine und der Krieg in Gaza haben die Ressourcen Russlands und Irans stark beansprucht. Dadurch sind sie weniger in der Lage, Assad militärisch und wirtschaftlich zu unterstützen. Diese Schwächung des Regimes hat es der syrischen Opposition ermöglicht, erneut offensiv zu handeln.
Für die Zukunft Syriens sind folgende Punkte für mich wichtig:
- Israel muss die Bombenangriffe sofort beenden. Die aktuelle Situation darf nicht ausgenutzt werden, um neue Gebiete in Syrien zu besitzen.
- Syrien muss ein einheitlicher Staat bleiben. Jede Form der Teilung nach ethnischen oder religiösen Kriterien lehne ich entschieden ab. Daher müssen alle Gruppen ihre Waffen niederlegen, egal auf welchem syrischen Gebiet sie sich befinden.
- Syrien gehört allen seinen Bürger*innen – von West nach Ost und von Nord nach Süd.
Was weiterhin unklar bleibt, ist die aktuelle Lage im Osten Syriens. Dort sind verschiedene Kräfte aktiv, darunter kurdische Gruppen und internationale Akteur*innen, die eigene Interessen verfolgen, die nicht im Interesse der Mehrheit der Menschen in Syrien liegen. Nicht zuletzt wurde 2015 oft gefragt, warum wir nach Deutschland geflüchtet sind. Doch schon einen Tag nach dem Sturz des Regimes kam direkt die Frage, wann wir Syrer*innen Deutschland wieder verlassen werden.
In Deutschland leben etwa 1,3 Millionen Syrerinnen. In den letzten zehn Jahren sind sie Teil der deutschen Gesellschaft geworden. Viele von ihnen haben sogar die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Ob sie zurückkehren oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Was man nicht vergessen sollte: Das deutsche Grundgesetz sichert die Rechte aller Menschen in Deutschland – selbst wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen.
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