Die aktuelle Migrationsdebatte im Bundestag, insbesondere die scharfen Worte der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge, zeigt auf
erschreckende Weise, wie tief gespalten und emotional aufgeladen die Diskussion um Migration, Asylpolitik und den Islam mittlerweile ist. Dröge sprach in ihrer Rede von „dem Gift des Islams“, eine Aussage, die selbst mit dem nachträglichen Hinweis, dass sie den Islamismus meinte, tiefsitzende Ängste und Vorurteile gegen Muslime befeuern kann. Was bedeutet es, wenn solch eine Rhetorik, die eine Religion mit Gewalt und Terrorismus gleichsetzt, selbst in den Bundestag Einzug hält?
Im Zentrum dieser Debatte steht ein tragischer Anlass: der islamistische Terroranschlag in Solingen, bei dem ein ausreisepflichtiger Syrer drei
Menschen tötete. Dieser schockierende Akt hat die Diskussion über die Gefahren von Extremismus und die Migrationspolitik erneut entflammt. Die Ermordung unschuldiger Bürger durch einen Anhänger des sogenannten Islamischen Staates ist zweifellos verheerend und lässt in der Bevölkerung große Ängste aufkommen. Doch inmitten dieser berechtigten Sorge dürfen wir eines nicht vergessen: Pauschalisierungen sind gefährlich. Sie verstellen den Blick auf die differenzierte Realität, der notwendig ist, um komplexe Probleme zu lösen.
Der feine Unterschied: Islam vs. Islamismus
Dass Dröge ihre Aussage nachträglich präzisierte und versuchte klarzustellen, sie habe den Islamismus, nicht den Islam gemeint, ist ein wichtiger Punkt. Doch leider kam diese Differenzierung zu spät. Worte haben Macht, und vor allem in solch angespannten gesellschaftlichen Zeiten, in denen die Debatte um Migration und Sicherheit so polarisiert ist, können sie wie Funken in ein bereits brennbares Umfeld wirken.
Der Islamismus, eine radikale politische Weltanschauung, die religiöse Sprache instrumentalisiert, um politische Ziele zu erreichen, ist ohne Frage ein massives Problem, das bekämpft werden muss. Doch der Islam an sich ist eine der großen Weltreligionen, die von über 1,9 Milliarden Menschen weltweit praktiziert wird, darunter etwa fünf Millionen in Deutschland. Diese Menschen sind überwiegend friedlich, rechtschaffene Bürger, die sich nichts sehnlicher wünschen als in einem sicheren und stabilen Land zu leben, in dem ihre Religion nicht als Feindbild gilt. Dröges ungenaue Wortwahl spielt jedoch genau solchen Vorurteilen in die Hände, die den Islam und seine Anhänger pauschal mit Gewalt und Extremismus assoziieren.
Gefahr des Dammbruchs
Wenn Politiker*innen – und insbesondere diejenigen, die sich traditionell gegen rassistische und diskriminierende Rhetorik stellen – beginnen, eine ganze Religion in der öffentlichen Debatte negativ zu konnotieren, kann dies weitreichende Folgen haben. Die Grenze zwischen der berechtigten Kritik an radikalen Auslegungen des Islam und der Stigmatisierung aller Muslime verschwimmt. Einmal gesagt, ist es schwer, diese Grenze wieder zu ziehen, vor allem in einer Medienlandschaft, die gerne zugespitzte Aussagen aufgreift und vervielfältigt.
Diese Art von Rhetorik führt nicht nur dazu, dass Muslime pauschal als verdächtig wahrgenommen werden, sondern sie kann auch zu einem
Dammbruch führen, in dem immer mehr Ressentiments salonfähig werden.
Was heute noch als Einzelmeinung oder Missverständnis abgetan wird, kann morgen schon in radikaleren Kreisen auf fruchtbaren Boden fallen. Hierin liegt die eigentliche Gefahr: Wenn die Grenzen des Sagbaren erst einmal verschoben sind, kann es schwer sein, die gesellschaftlichen Dämme wieder zu schließen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass der politische Diskurs in Deutschland auf dem Grundgesetz fußt. Artikel 4 garantiert die Religionsfreiheit und schützt die freie Ausübung des Glaubens. Wenn solche grundlegenden Rechte durch stigmatisierende Äußerungen ins Wanken geraten, kann das nicht nur die betroffenen Religionsgemeinschaften isolieren, sondern auch das gesellschaftliche Gefüge in seiner Gesamtheit schwächen.
Verantwortung in der Politik
Politiker*innen haben die Verantwortung, ihren Worten mit Bedacht zu wählen, gerade in solch heiklen Zeiten. Sie prägen die öffentliche Meinung und tragen zur Gestaltung des gesellschaftlichen Klimas bei. Eine Rede im Bundestag ist kein Stammtisch, und eine unüberlegte Äußerung hat hier ein anderes Gewicht. Wenn die Grünen als Partei der Vielfalt und Toleranz nicht in der Lage sind, differenziert über den Islamismus zu sprechen, wie können wir dann erwarten, dass weniger gemäßigte Kräfte dies tun?
Die Migrationsdebatte muss geführt werden, das steht außer Frage. Deutschland steht vor großen Herausforderungen, und es gibt berechtigte Sorgen in der Bevölkerung, die nicht ignoriert werden dürfen. Doch diese Diskussion muss auf Fakten beruhen, nicht auf Angst und Vorurteilen. Wir dürfen nicht zulassen, dass der politische Diskurs in eine Richtung abdriftet, in der Menschen allein aufgrund ihrer Religion oder Herkunft stigmatisiert werden.
Gesellschaftliche Folgen von politischen Aussagen
Wenn die Rhetorik des „Gift des Islams“ Einzug in die Mitte der Gesellschaft hält, dann zerbrechen die Dämme, die unser demokratisches
und pluralistisches Zusammenleben schützen. Ein gesellschaftliches Klima, in dem Misstrauen und Vorurteile gedeihen, führt unweigerlich zu einer Radikalisierung auf beiden Seiten. Muslime in Deutschland, die ohnehin oft unter den Auswirkungen von Islamophobie leiden, könnten sich weiter marginalisiert fühlen und das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren. Dies könnte wiederum extremistische Bewegungen stärken – sowohl islamistische als auch rechte.
Dringend ist es erforderlich, dass wir als Gesellschaft wachsam bleiben und nicht zulassen, dass die Debatte über Migration und Sicherheit in eine pauschale Verurteilung von Religionsgemeinschaften abdriftet. Es muss uns gelingen, die Probleme zu benennen, ohne dabei den Respekt vor den Menschen zu verlieren, die friedlich und rechtschaffen in diesem Land leben und ihren Glauben ausüben. Nur so kann verhindert werden, dass die Dämme endgültig brechen.