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Was ist wirklich wichtig für Syrien?

Die migrationsnews sind dein wöchentlicher Nachrichtenüberblick zu den Themen Flucht und Migration. Im Fokus steht diese Woche der Besuch von Außenministerin Baerbock in Syrien

Was ist wirklich wichtig für Syrien?
Fotograf*in: Abdalhady Mansour

Nach dem plötzlichen Sturz von Assad hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, zusammen mit ihrem französischen Kollegen, beschlossen, Damaskus zu besuchen. Die Botschaft war klar: Europa ist bereit, Syrien zu unterstützen. Aber natürlich nicht ohne Bedingungen. Frauenrechte, Schutz von Minderheiten und die Schaffung einer neuen Regierung, in der alle syrischen Parteien vertreten sind, stehen auf der Liste. Klingt gut, oder?

Beide Minister*innen machten auch einen symbolträchtigen Halt: das berüchtigte Gefängnis Saydnaya. Ein Ort, der für die Schrecken steht, die Assads Regime über die syrische Bevölkerung gebracht hat. Doch statt die Diskussion auf die Gräueltaten und die Dringlichkeit eines Wandels zu lenken, fokussierten sich viele – vor allem in den sozialen Medien – auf eine ganz andere Frage: Warum hat Ahmed Al-Sharaa, der Chef von HTS, Annalena Baerbock nicht per Handschlag begrüßt? Skandal? Respektlosigkeit? Ein neuer „Trend“ für Diskurse?

Diese kleine Geste, oder das Fehlen derselben, entwickelte sich zur Hauptsensation. Viele, die weder Syrien kennen noch die Komplexität der Situation dort verstehen, sprangen auf den Zug auf, um ihre Meinungen lautstark zu äußern. Plötzlich ging es weniger um Syrien und mehr um Likes, Shares und politische Statements. Medien, ob groß oder klein, griffen die Kontroverse begierig auf – der Klicks wegen.

Dabei ist die eigentliche Frage eine ganz andere: Was ist wirklich wichtig für Syrien?

Nach 13 Jahren Krieg ist das Land physisch und moralisch zerstört. Über 100.000 Menschen sind verschwunden, ganze Städte wurden ausgelöscht, Millionen hungern. Brauchen die Menschen in Syrien jetzt wirklich ein „neues liberales System“, während sie nicht einmal ihre Kinder ernähren können? Was ist wichtiger – politische Ideale oder die grundlegende Sicherung von Würde, Nahrung und Frieden?

Vielleicht sollten wir uns als Nachbarn und Unterstützerinnen fragen, wie wir den Syrerinnen helfen können, selbst ihre Prioritäten zu setzen. Vielleicht sollten wir eher den Dialog fördern, Übergangsjustiz unterstützen und dafür sorgen, dass die Verbrechen der Vergangenheit nicht ungesühnt bleiben. Aber ist es unsere Aufgabe, mit erhobenem Zeigefinger zu diktieren, was „gut“ für sie ist?

Europa hat viel aus seinen kolonialen Wunden zu lernen – leider bleibt oft wenig Raum für Reflexion. Stattdessen wiederholen wir die Fehler der Vergangenheit, indem wir unsere Ideale und Systeme auf fragile Gesellschaften projizieren.

Menschenrechte und Demokratie lassen sich nicht durch Druck von außen erzwingen. Sie müssen aus der Gesellschaft selbst erwachsen, von den Menschen akzeptiert und getragen werden. Der Irak und Afghanistan haben uns eindrucksvoll gezeigt, was passiert, wenn Systeme von außen aufgezwungen werden.

Am Ende bleibt die Frage: Was ist jetzt wirklich wichtig für Syrien? Wollen wir helfen, eine Zukunft aufzubauen, die auf Frieden, Gerechtigkeit und Würde basiert? Oder bleiben wir in den gewohnten Rollen: als Lehrmeister*innen, die sagen, was richtig und falsch ist, und dabei vergessen, zuzuhören?

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