Am Sonntagabend kurz nach 18 Uhr saß ich vor dem Fernseher und verfolgte die Ergebnisse der Landtagswahl in Brandenburg. Meine Eltern leben in Brandenburg, ich habe viele Jahre meiner Jugend im Berliner Umland verbracht. Auch wenn ich schon lange nicht mehr dort lebe, kenne ich die Menschen und die Herausforderungen vor Ort. Als klar war, dass die SPD die Mehrheit der Stimmen für sich gewinnen und sich damit gegen die AfD durchsetzen konnte, habe ich kurz aufgeatmet. Aber das hat ehrlich gesagt nicht lange angehalten.
Ich kenne einige, die bei dieser Wahl aus taktischen Gründen für die SPD gestimmt haben und nicht aus Überzeugung. Eine repräsentative Befragung von infratest dimap zeigt das ganz deutlich: 75 Prozent der SPD-Wählenden stimmt der Aussage zu: „Überzeugt mich zwar nicht, aber ich wähle sie, um eine starke AfD zu verhindern.“ Das hat zur Folge, dass Linke und Grüne nicht im nächsten Parlament vertreten sein werden und die AfD damit eine Sperrminorität erreicht.
In der „Berliner Runde“ im Ersten diskutierten anschließend die Generalsekretär*innen der Parteien über die Wahlergebnisse. Bernd Baumann von der AfD sagte dort, dass die SPD die Inhalte der AfD aufgegriffen und sich insbesondere die Themen Migration und Asyl zu eigen gemacht habe. Dies zeige, dass die AfD eine bürgerliche Partei sei. Letzterem stimme ich natürlich nicht zu, schließlich gilt der Landesverband als rechtsextremistischer Verdachtsfall, aber die erste Aussage ist leider nicht ganz falsch.
Die politischen Debatten der letzten Wochen haben mich fassungslos zurückgelassen. In drei Bundesländern konnten Rechtsextreme viele Wähler*innen für sich gewinnen. Und worüber redet die Nation? Über Grenzschließungen, die Abschaffung des Asylrechts und Abschiebungen.
Die AfD muss gar nicht mitregieren. Ihre Themen, ihre Sprache und ihre Ideologie haben sich bereits erfolgreich in der sogenannten demokratischen Mitte etabliert. Sowohl Politiker*innen als auch Medien übernehmen diese Narrative, statt sich differenziert damit auseinanderzusetzen, was die Menschen auf lokaler und regionaler Ebene tatsächlich brauchen.
Auf der Wahlparty der AfD feierten Parteimitglieder mit einem Schild, auf dem „Millionenfach abschieben“ stand, und sangen offen vor Journalist*innen ein umgedichtetes Lied mit dem Text „Hey, was geht ab? Wir schieben sie alle ab.“ Das letzte Mal, als solche Deportationspläne in Potsdam propagiert wurden, löste das eine riesige bundesweite Protestwelle aus. Wird sich dieser Aufschrei wiederholen? Die Polizei ermittelt jetzt wegen Volksverhetzung, aber wie geht es weiter?
Rechtsextreme fühlen sich in Deutschland derzeit sehr sicher. Das haben die verschiedenen Aufmärsche bei den CSDs in Ostdeutschland gezeigt. Es braucht keine Geheimtreffen mehr, wenn extreme Positionen normalisiert werden. Mir graut es ehrlich gesagt vor den nächsten Monaten, wenn der Bundestagswahlkampf richtig Fahrt aufnimmt. Und so geht es auch vielen Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte, die sich derzeit fragen, ob sie in Zukunft in Deutschland bleiben wollen.
Es ist höchste Zeit, dass sich die demokratischen Parteien mit ihrer eigenen Themensetzung beschäftigen. Es braucht konkrete Lösungen und eine kritische Auseinandersetzung mit den Gründen, warum die Rechten konstant so erfolgreich sind. Doch dafür müsste man sich ja an die eigene Nase fassen.
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