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Vertrauliche Papiere zu Syriens Zukunft

Drei bislang unveröffentlichte Dokumente – ausgefertigt in Washington, Damaskus und New York – geben einen Einblick in die Diplomatie, die derzeit über die künftige Rolle Syriens in der internationalen Gemeinschaft verhandelt wird.

Vertrauliche Papiere zu Syriens Zukunft
Fotograf*in: Kirklai auf unsplash.com

Das Nachrichtenmagazin Al‑Majalla konnte die Papiere einsehen und ihre wichtigsten Punkte verifizieren. Zusammengenommen zeichnen sie das Bild eines fragilen, aber realen Verhandlungspfads, an dessen Ende sowohl wirtschaftliche Entlastung für Syrien als auch sicherheitspolitische Zugeständnisse an die USA stehen könnten.

Ein Forderungskatalog aus Washington

Das umfangreichste der drei Papiere stammt aus dem US‑Außenministerium. Darin stellt die amerikanische Regierung – gestützt von Sicherheitsbehörden und Teilen des Kongresses – acht Bedingungen, die Damaskus innerhalb von sechs Monaten erfüllen soll. Erst danach würden die Vereinigten Staaten eine zweijährige Lockerung ausgewählter Wirtschaftssanktionen erwägen.

Zu den Kernforderungen gehören:

ein öffentliches Verbot aller palästinensischen Milizen und ihrer politischen Aktivitäten in Syrien

der ungehinderte Zugang von UN Inspekteuren zu sämtlichen Chemiewaffenanlagen

die Zustimmung zu gezielten US‑Antiterror‑Operationen auf syrischem Boden

die Einstufung der iranischen Revolutionsgarden und der libanesischen Hisbollah als offizielle Terrororganisationen

Für Damaskus sind besonders zwei Punkte schwierig: das generelle Politik‑ und Waffenverbot für palästinensische Gruppierungen und die offene Einflugschneise für US‑Drohnen. Beide Forderungen berühren das Selbstverständnis der neuen syrischen Führung als souveräner Staat.

Syrische Gegenreaktion

Außenminister Asʿad aš‑Šaibānī hat Anfang April schriftlich geantwortet. Sein Brief erkennt Fortschritte in mehreren Bereichen an: So verspricht Damaskus, sämtliche Chemiewaffen­bestände aus der Assad‑Zeit endgültig zu deklarieren und eine Suche nach den 14 vermissten US‑Bürgern zu unterstützen. Auch beim Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat signalisiert Syrien Kooperationsbereitschaft.

Unverhandelbar seien hingegen das aktive Mitspracherecht bei allen künftigen US‑Militäroperationen und der Verbleib palästinensischer Flüchtlings­organisationen, solange sie keine bewaffneten Aktivitäten auf syrischem Territorium ausübten. Damit stellt Damaskus klar, dass es zwar zu Zugeständnissen bereit ist, seine regionale Bündnispolitik aber nicht vollständig aufgeben will.

Das UN‑Modell: eingefrorene Gelder als Hebel

Das dritte Dokument, verfasst von UN‑Vizegeneralsekretär und Ex‑Vizepremier Abdallāh ad‑Dardārī, schlägt einen technisch‑finanziellen Ausweg vor. Demnach könnte das Entwicklungs­programm der Vereinten Nationen (UNDP) rund 500 Millionen US‑Dollar an syrischen Staatsgeldern, die seit 2011 auf europäischen Konten blockiert sind, treuhänderisch verwalten. Die Mittel sollen in exakt definierte Projekte für Energie, Wasser und Infrastruktur im Landesinneren fließen. Auf diese Weise würden die Gelder weder direkt der syrischen Regierung zufließen noch gegen bestehende US‑Sanktionen verstoßen.

Während westliche Diplomaten den Plan als „sinnvollen ersten Schritt zur Vertrauensbildung“ loben, warnt ein hoher EU‑Vertreter, zusätzliche Verwaltungs­ebenen könnten den Geldabfluss verlangsamen und neue Konfliktlinien öffnen. Dennoch haben die UN damit ein Konzept auf den Tisch gelegt, das beiden Hauptakteuren – Washington und Damaskus – politische Deckung bieten könnte.

Bereits kommende Woche reist eine syrische Delegation unter Leitung von Finanzminister Muḥammad Yasir Barnīya und Zentralbankchef ʿAbd al‑Qādir Ḥusriyya nach Washington, um an den Frühjahrstagungen von Weltbank und IWF teilzunehmen. Parallel will Saudi‑Arabien auf dem gleichen Forum eine Syrien‑Runde ausrichten und plant, Rückstände von 15 Millionen Dollar bei der Weltbank zu begleichen. Das würde den Weg für neue IDA‑Kredite in Höhe von bis zu 300 Millionen Dollar frei machen – Geld, das vor allem in die marode Stromversorgung fließen soll.

Wie geht es weiter?

Außenminister aš‑Šaibānī wiederum reist Ende April nach New York, um bei einer Sitzung des Sicherheitsrats die syrische Flagge zu hissen. Die USA haben seine Visums­privilegien bereits herabgestuft, erkennen die neue Regierung aber weiterhin nicht offiziell an. Beobachter werten den Auftritt dennoch als Testlauf dafür, wie weit die Normalisierung gehen kann.

Unklar bleibt, ob das Weiße Haus genügend innenpolitische Rückendeckung hat. Im Nationalen Sicherheitsrat drängen Hardliner wie Sicherheitsberater‑Stellvertreter Sebastian Gorka auf maximale Distanz zu Damaskus, während Außenminister Marco Rubio und die CIA einen pragmatischen Ansatz favorisieren, der Syriens neuen Kurs gegen den Einfluss Teherans nutzen will. Diese offene Flügel­tür in Washington könnte zur größten Unbekannten der kommenden Monate werden.

Das Problem ist, dass die USA bislang keinen klaren Plan für Syrien haben und viele Länder der Region versuchen, auf diesen künftigen Plan Einfluss zu nehmen. Das zeigt, dass Trump an Syrien kein großes Interesse hat. Dadurch bleibt die Lage für die neue syrische Regierung unsicher, weil sie nicht weiß, wie sie reagieren soll. Beide Seiten – die USA und Syrien – sollten daher intensiver miteinander verhandeln und Vertrauen aufbauen.

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News UpdateAnerkennung der Kurd*innen

Die Autonome Verwaltung Nord‑ und Ostsyrien pocht weiter auf eine dezentrale, demokratische Staatsordnung, beharrt auf der Einheit Syriens und fordert die offizielle Anerkennung der Kurd*innen. Vermittelte Gespräche mit Damaskus laufen; innerkurdische Einigkeit gilt als Voraussetzung für faire Repräsentation.

Humanitäre Hilfe für Schwangere nötig

Schwangere sind in Vertriebenenlagern Nordwest‑Syriens durch Armut, Unterernährung und den Ausfall von 40 % der Gesundheitszentren bedroht. Expert*innen fordern Not‑Entbindungsstationen und mobile Kliniken.

Wiederaufbau von Schulen

Nur 70 von rund 8 000 zerstörten Schulen sind instandgesetzt. Fehlende alte Baupläne verzögern die Sanierung weiterer Gebäude.

Türkische Investitionen

Die türkische Regierung wirbt um schnelle Investments in stillgelegte syrische Häfen und Anlagen; zudem wird ein umfassendes türkisch‑syrisches Wirtschaftsabkommen (Investitionsschutz, Banken, Zölle) vorbereitet.

Initiative „Nabḍunā Wāḥid“
Über 80 in Deutschland tätige syrische Ärzt*innen reisen für kostenlose Operationen und Wissenstransfer ins Land.

Öl-Abkommen:

Das Öl-Abkommen zwischen SDF und Damaskus (70 % Erlöse an Regierung, 30 % lokal) ist unterzeichnet. Die tatsächliche Übergabe der Felder steht noch aus.

Internationale Präsenz:

USA reduzieren ihr Syrien‑Kontingent schrittweise von etwa 2000 auf weniger als 1000 Soldaten.

Rückkehr von Geflüchteten:

Libanon arbeitet mit Damaskus an strukturiertem Rückkehrplan. Rund 24 % der syrischen Geflüchteten in Libanon zeigen Rückkehrbereitschaft.

Governance:

Syriens Kommunal‑ und Umweltminister wirbt für stärkere Bürgerbeteiligung und gerechte Verteilung von Entwicklungsprojekten.


Übergangspräsident al‑Schaar macht seinen Bruder zum Generalsekretär des Präsidialamts

Übergangspräsident Ahmad al‑Schaar ernennt seinen Bruder Maher zum Generalsekretär des syrischen Präsidialamts – ein Schlüsselposten, der Termine, Erlasse und die Koordination mit Behörden steuert.

Maher al‑Schaar lebte viele Jahre in Russland, arbeitete dort als Arzt, absolvierte 2004 in Woronesch die Facharztausbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Schon im Dezember, nach dem Sturz des Assad‑Regimes, machte Ahmad seinen Bruder zum kommissarischen Gesundheitsminister – ein Schritt, der in Syrien Kritik auslöste; die neue Ernennung sorgt erneut für Diskussionen.


Israel–Türkei: Neuer Koordinationsmechanismus zur Vermeidung militärischer Kollisionen in Syrien

Israel und die Türkei haben sich bei einem Treffen in Aserbaidschan auf einen ständigen Mechanismus geeinigt, um direkte Zusammenstöße ihrer Streitkräfte in Syrien zu vermeiden.

Unterschiedliche Signale: Öffentlich warnt Ankara vor israelischen Luftangriffen, sendet aber diplomatisch das Signal, keinen offenen Konflikt mit Tel Aviv zu suchen. Israel betrachtet die Türkei dennoch als Wettbewerber in der Region.

Israels „rote Linien“: Israel will seine täglichen Luftschläge in Syrien fortsetzen und kündigt an, jede Stationierung neuer ausländischer Truppen oder türkische Basen (etwa bei Palmyra) als Überschreitung roter Linien zu werten. Ein Wiederaufbau der syrischen Armee werde nicht geduldet.

Beziehungsstatus: Beide Länder betonen, nicht im Krieg zu sein. Israel zeigt sich offen für einen Neustart der Beziehungen, hält aber offene Koordinationskanäle für essenziell, da Präsident Erdoğan bislang kein Entgegenkommen signalisiere.

Erdoğans Position: Der türkische Präsident stellt sich öffentlich hinter die syrische Regierung, lehnt eine Teilung Syriens unter dem Vorwand des „Terrorismus“ ab und warnt alle Akteure, die Stabilität Syriens zu gefährden. Die Türkei werde weitere „Korridor‑Projekte“ – ähnlich dem früher verhinderten YPG‑Korridor im Norden – unterbinden.


UNDP startet 2,9‑Mio.-$‑Pilot für subventionierte Kleinkredite und Finanz­inklusion in Syrien

Das UN‑Entwicklungsprogramm (UNDP) unterzeichnete mit vier syrischen Banken (First MicroFinance Bank, BEMO Saudi Fransi Bank, Credit and Development Bank, National Microfinance Bank) ein Abkommen über 2,9 Mio. US‑$, um erstmals subventionierte Zinssätze in Syrien zu testen und mehr als 1600 Kleinkredit­nehmern Zugang zu Finanzierung zu verschaffen.

Ziel: Förderung inklusiven Wirtschaftswachstums, Vertiefung der finanziellen Inklusion und Verbesserung der Lebensgrundlagen.

Hintergrund: UNDP schätzt, dass Syrien über 50 Jahre brauchen wird, um das Vorkriegs­wirtschaftsniveau zurückzugewinnen; der Konflikt kostete bislang rund 800 Mrd. US‑$ BIP.

Internationale Unterstützung: In Washington sollen kommende Woche Schritte diskutiert werden, um Syrien wieder an Weltbank und IWF heranzuführen; Saudi‑Arabien und die Weltbank richten dazu ein Treffen aus.

Sanktionen als Hemmnis: UN‑Untergeneralsekretär ʿAbdallāh ad‑Dardārī betont, breite Sanktionen blockierten Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe; dennoch erhielt das UNDP eine US‑Ausnahmegenehmigung, um bis zu 50 Mio. US‑$ für die Reparatur des Kraftwerks Deir ʿAli zu mobilisieren.

Weltbank‑Rückstände beglichen: Saudi‑Arabien hat 15 Mio. US‑$ an ausstehender syrischer Weltbank‑Schuld beglichen – Voraussetzung dafür, dass die Weltbank Syrien künftig wieder über ihre IDA‑Schiene für Niedrigeinkommens­länder unterstützen kann.

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