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Verrate ich meine Heimat?

Die migrationsnews von kohero sind dein wöchentlicher Nachrichtenüberblick zu den Themen Flucht und Migration. Diesmal stellt Redaktionsleiterin Natalia die Gedanken eines Autors zur Debatte um Reisen von Geflüchteten in ihre Heimatländer.

Verrate ich meine Heimat?
Fotograf*in: Kenrick Mills auf Unsplash

Immer wieder gibt es Vermutungen, dass Geflüchtete vorübergehend in ihre Heimat zurückkehren. In der aktuellen Diskussion, losgetreten von der FDP, geht es dabei um Schutzsuchende aus Afghanistan. Hintergrund ist eine Recherche von RTL, wonach Reisebüros in Hamburg angeblich Reisen an den Hindukusch für Menschen aus Afghanistan organisieren. Zahlen liegen den Behörden allerdings nicht vor. In der Debatte geht es dabei um die Frage, ob Geflüchteten der Schutzstatus aberkannt werden sollte, wenn sie sicher in ihre Herkunftsländer zurückreisen. Aber wie sicher kann das wirklich sein? Und was sind realen Gründe für die Reisen in die Herkunftsländer? Einer unserer Autor*innen hat uns seine Gedanken zur Debatte aufgeschrieben:

Wenn du in deiner Heimat in Gefahr bist, dich fremd fühlst oder das Bedürfnis hast, dem Ort, an dem du aufgewachsen bist, zu entkommen, stehst du vor zwei Möglichkeiten: Auswanderung oder Flucht. Für viele Menschen ist Auswanderung aber zu einem Luxus geworden, den sich nur sehr wohlhabende Menschen oder solche mit besonderen und gefragten Qualifikationen in den Ankunftsländern leisten können. Den meisten bleibt nur das Asyl. Und das bedeutet, dass man unter keinen Umständen in das eigene Herkunftsland zurückkehren kann.

Als ich die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, begannen mich Zweifel zu plagen. Praktisch könnte ich jetzt mein Herkunftsland besuchen, aber ist das moralisch richtig? Verrate ich durch diesen Schritt das „Asylrecht”, das mir gewährt wurde? Verrate ich das Einwanderungsland, das mich über Jahre hinweg aufgenommen und unterstützt hat, um mir ein sicheres und stabiles Leben aufzubauen? Verrate ich die anderen Menschen, die wie ich eine Asylerfahrung erlebt haben, aber die aufgrund der Sicherheitslage oder aus Angst vor der Wehrpflicht zum Beispiel nicht nach Syrien reisen können? Verrate ich die syrischen Geflüchteten in den Nachbarländern, die keine zweite Staatsbürgerschaft erhalten?

Viele Fragen quälten mich und ich hatte viele innere Konflikte. Warum bedeutet die Unfähigkeit, in meinem Heimatland zu leben, dass ich es nicht besuchen kann? Ja, ich kann jetzt nach Syrien reisen, ohne mein Asylrecht zu verlieren, aber ich werde dort nicht leben können.

In dieser Zeit begann ich, nach der Bedeutung von Asyl an sich zu suchen, und stieß auf den Begriff „ehemaliger Flüchtling“. Ich dachte, ein Flüchtling bleibt für immer ein Flüchtling, aber Asyl ist ein Zustand, den ein Mensch in einer bestimmten Phase seines Lebens erlebt, bis er das passende Land findet, in dem er sich sicher, stabil und, vor allem, zugehörig fühlt. Wenn sich eine Person dem Asylland zugehörig fühlt, verliert sie die Eigenschaft des Flüchtlings, sogar bevor sie die Staatsbürgerschaft erhält.

Gerade wird das Thema der Besuche von Geflüchteten in ihren Heimatländern in der deutschen Politik diskutiert, und es wurden strengere Gesetze in dieser Angelegenheit vorgeschlagen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, forderte sogar, in solchen Fällen den Schutzstatus sofort zu widerrufen und als nächsten Schritt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu verhängen. Bereits am Freitag hatte der Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Stamp, Asylsuchende davor gewarnt, Urlaub in ihren Heimatländern zu machen.

Was die Politiker*innen jedoch nicht bedacht haben, ist, dass die meisten Geflüchteten, die ihr Heimatland besuchen, dies nur tun, um ihre Familien zu sehen, die aus den zuvor erwähnten Gründen das Heimatland nicht verlassen können, oder um bürokratische Angelegenheiten zu regeln, die nur durch die persönliche Anwesenheit im Heimatland erledigt werden können.

Manchmal geht es auch einfach darum, das Gefühl zu haben, ein normales Leben führen zu können, indem man den Ort besucht, an dem man aufgewachsen ist. Einen Ort zu besuchen bedeutet nicht, dass man in der Lage ist, dort zu bleiben; im Gegenteil, eine dauerhafte Rückkehr ins Heimatland könnte aufgrund sozialer und sicherheitsbedingter Zwänge unmöglich und gefährlich sein.

Jedes Mal, wenn ich Deutschland und besonders Hamburg verlassen habe, fühlte ich mich fremd und hatte das Bedürfnis, in die Heimat zurückzukehren … Heimat? Ja, Heimat bedeutet für mich Hamburg und Deutschland. Dieses Gefühl war bei all meinen Reisen außerhalb Hamburgs oder Deutschlands eindeutig. Was ich nicht erwartet hatte, war, dass ich das Bedürfnis verspüren würde, in die Heimat zurückzukehren, während ich mich in der Heimat befinde.

Liebe Grüße
Natalia

Redaktionsleiterin

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