Alaa Muhrez stammt aus der Stadt Homs in Syrien und lebt seit 2015 in Deutschland. Seit 2018 ist sie als Buchhalterin bei einem Rechtsanwalt und Steuerberater tätig und engagiert sich seit Jahren dafür, dass verschleierte Frauen bessere Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Neben ihrer Ausbildung zur Kulturvermittlerin hat sie in Ägypten als Mathematiklehrerin gearbeitet und schreibt gerne über Gedanken – etwas, das sie von ihrem Vater übernommen hat.
Als die Nachricht vom Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember verkündet wurde, erlebte Alaa eine große Flut an Emotionen. "Ich lag im Bett und konnte nicht schlafen", erzählt sie, "es waren sehr angespannte und schwierige Stunden, eine Mischung aus Angst, Freude und Hoffnung." Die plötzliche Wendung der Ereignisse war für viele Syrer*innen überraschend. "Ich dachte, ich wäre im Traum. Es war schwer zu realisieren, dass das jetzt wirklich passiert", ergänzt sie.
Mit etwas zeitlichen Abstand betrachtet Alaa die Situation nun reflektierter: "Ich plane, in den nächsten zwei bis drei Monaten nach Syrien zu reisen. Unsere größte Angst war, dass nach Assads Sturz ein neuer Krieg zwischen den verschiedenen Gruppen ausbrechen könnte. Doch das ist nicht passiert, und ich bin überzeugt, dass wir das Schlimmste überstanden haben."
Homs: Eine Stadt der Vielfalt und Herausforderungen
Alaa stammt aus Homs, einer Stadt, die durch ihre ethnische und religiöse Vielfalt geprägt ist. "Die Lage dort ist komplex", erklärt sie. "Viele Menschen sind misstrauisch gegenüber ehemaligen Assad-Loyalisten, und es fehlt an Solidarität. Doch die Zukunft wird zeigen, ob diese Wunden heilen können."
Ihre Reise nach Syrien ist vor allem von einem persönlichen Wunsch geprägt: "Ich habe meine Familie seit 14 Jahren nicht gesehen. Ich möchte wissen und fühlen, was es bedeutet, wieder zu einer großen Familie zu gehören." Besonders das Zuckerfest möchte sie mit ihren Liebsten feiern.
Das Kopftuch und die Debatte um Selbstbestimmung
Ein weiteres Thema, das Alaa am Herzen liegt, ist die Diskussion um das Kopftuch. In Syrien gibt es derzeit Kampagnen, die Frauen entweder zum Tragen des Kopftuchs ermutigen oder sie davon abhalten wollen. Alaa kritisiert beide Ansätze: "Jede Frau sollte das Recht haben, selbst zu entscheiden. Ob in Saudi-Arabien, wo Frauen gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, oder in Deutschland, wo verschleierte Frauen in manchen Berufen diskriminiert werden – beide Extreme sind problematisch."
Persönlich hat sie nie daran gedacht, ihr Kopftuch für den Beruf abzulegen, obwohl sie sich der Herausforderungen bewusst ist: "Es gibt genug Statistiken, die zeigen, dass sichtbar muslimische Frauen bei Vorstellungsgesprächen oft benachteiligt werden. Aber für mich ist es eine Frage der Identität."
Aufklärungsarbeit und Einheit in der syrischen Diaspora
Alaa nutzt insbesondere soziale Medien, um über Syrien aufzuklären. "Früher habe ich mich viel mit Frauenrechten und dem Kopftuch beschäftigt, aber jetzt konzentriere ich mich darauf, die Spaltungen in der syrischen Gesellschaft zu überwinden. Al-Assad hat Jahrzehnte damit verbracht, verschiedene Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Ich versuche, durch Aufklärungsarbeit Brücken zwischen diesen Gruppen zu bauen. Auch wenn ich nur 1 % der Menschen erreiche, ist das ein Erfolg."
Ihre Arbeit, die seit Jahren leistet, erfährt starke positive Resonanz. "Die Leute teilen begeistert ihre Meinungen und Erfahrungen. Das zeigt mir, dass es ein Bedürfnis nach Dialog gibt", sagt sie. Auf die Frage, wie Exil-Syrer*innen zur Einheit beitragen können, betont Alaa die Bedeutung von Gesprächen: "Viele wissen nichts über die kurdische Kultur, was zu falschen Annahmen führt. Wir müssen mehr über diese Themen sprechen und gegenseitiges Verständnis fördern."
Zum Abschluss sendet Alaa noch eine Botschaft an alle Syrer*innen: "Seid offen und geduldig. Gebt einander eine neue Chance. Und an die Syrer in Deutschland: Nutzt euer Wahlrecht! Wir spielen eine wichtige Rolle in diesem Land. Unser gemeinsames Ziel sind Demokratie, Menschenrechte und Freiheit."