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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Tuğba Tekkal: Von der Außenseiterin zur Vorkämpferin

In den Straßen von Hannover der 90er Jahre kickte ein junges Mädchen mit Leidenschaft gegen einen Fußball. Was für viele ein alltägliches Bild sein mag, war für Tuğba Tekkal der Beginn einer bemerkenswerten Reise. Heute, mit 39 Jahren, blickt die ehemalige Profifußballerin und Menschenrechtsaktivist

Tuğba Tekkal: Von der Außenseiterin zur Vorkämpferin
Fotograf*in: Marina Weigl

“Von mir hat niemand etwas erwartet und das wurde mir vor allem in der Schule früh vermittelt”, erinnert sich Tuğba. Als Kind kurdisch-jesidischer Eltern, die vor der Verfolgung aus der Türkei nach Deutschland geflohen waren, gehörte sie zu einer oft übersehenen Minderheit. “Ich habe lange Zeit gedacht, dass ich nichts wert bin und habe als Kurdin und Jesidin viel Diskriminierung und Rassismus erlebt.”

Doch Tuğba ließ sich nicht entmutigen. Ihr Traum, Profifußballerin zu werden, trieb sie an - auch wenn dieser Weg für ein Mädchen aus einer jesidischen Großfamilie alles andere als vorgezeichnet war. “Es war ein Kampf, meine Eltern davon zu überzeugen”, erzählt sie, “meine Mutter hat sich Sicherheit und eine gute Zukunft für mich gewünscht.” Mit Beharrlichkeit und der Unterstützung ihrer Geschwister gelang es Tuğba schließlich, ihre Eltern zu überzeugen. “Zum Glück haben meine Geschwister und ich immer wieder mit ihnen gesprochen, bis sie selbst ins Stadion gekommen sind und mich angefeuert haben. Meine Eltern sind meine größten Fans, und andersherum.”

Tuğbas Weg zum Profifußball war auch weiterhin von Durchhaltevermögen und der Fähigkeit, Widerstände zu überwinden, geprägt. “Gerade im Frauenfußball habe ich wenige Vorbilder gesehen, mit deren Weg ich mich identifizieren konnte. Natürlich habe ich auch im Fußball Rassismus erlebt.”

"Für mich war klar: Wir müssen etwas tun"

2017 beendete Tuğba ihre aktive Fußballkarriere beim 1. FC Köln, doch ihr Engagement war damit keineswegs beendet. Im Gegenteil: Es markierte den Beginn einer neuen Mission. Gemeinsam mit ihren Schwestern gründete sie 2015 die Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help und das Sport- und Empowermentprojekt SCORING GIRLS*. “HÁWAR.help haben wir auf der Asche des Genozids an den Jesid*innen 2014 gegründet. Für mich war klar: Wir müssen etwas tun”, erklärt Tuğba ihre Motivation.

SCORING GIRLS* ist Tuğbas Herzensprojekt. “Ich habe es gegründet, damit sich kein Mädchen so einsam fühlen muss wie ich damals”, sagt sie. Das Projekt nutzt Fußball als Mittel, um Mädchen aus verschiedenen Kulturen zusammenzubringen, ihnen Selbstvertrauen zu vermitteln und Chancengerechtigkeit zu fördern. “Bei SCORING GIRLS* trainieren Mädchen aus über 15 Nationen, auch Mädchen ohne Migrationsgeschichte. Ich wünsche mir, dass wir diese Begegnungsorte immer weiter ausbauen.”

Tuğbas Arbeit ist dabei tief in ihrer persönlichen Geschichte verwurzelt. “Die jesidische Identität ist stark mit Flucht und Vertreibung verknüpft. Aber auch mit Widerstand, mit Zugehörigkeit, mit Zusammenhalt”, erklärt sie. Diese Erfahrungen prägen ihr Verständnis für die Herausforderungen von Geflüchteten und Migrantinnen. “Ich bin mit Geschichten von Flucht und Migration aufgewachsen. Meine Großeltern haben davon erzählt, meine Eltern, alle. Als Jesidinnen werden wir verfolgt, seit es uns gibt. Das sitzt ganz tief.”

"Höre auf die, die an dich glauben"

In der öffentlichen Diskussion um Flucht und Migration vermisst Tuğba deshalb oft die Stimmen derjenigen, die diese Erfahrungen selbst gemacht haben. “"Ich wünsche mir, dass Menschen, die selbst diese Erfahrung gemacht haben, erzählen dürfen. Und dass ihnen zugehört wird. Ich will weg von Vorurteilen und Klischees.” Sie sieht Diversität als große Chance, betont aber die Notwendigkeit des gegenseitigen Zuhörens und Lernens.

Tuğbas Engagement geht weit über den Sport hinaus. Sie beschäftigt sich intensiv mit Themen wie Integration und Chancengerechtigkeit. “Gerade im Fußball wird im Moment viel über politische und gesellschaftliche Themen debattiert. Wir merken immer stärker, dass der Sport kein luftleerer Raum ist und dass wir dort, genau wie in allen anderen Bereichen, dafür sorgen müssen, dass unsere freiheitlich-demokratischen Werte geschützt werden."

Trotz aller Herausforderungen bleibt Tuğba optimistisch. “Wenn ich sehe, wie diese Mädchen sich gegenseitig anfeuern, trösten und aufeinander aufpassen, fühle ich eine ganz große Hoffnung”, sagt sie über die Teilnehmerinnen von SCORING GIRLS*. Ihr Rat an andere, die vor Herausforderungen stehen, ist einfach, aber kraftvoll: “Höre auf die, die an dich glauben.”

Tuğba Tekkal vermittelt ihre Botschaft klar und eindringlich: Sie setzt auf Zusammenhalt, Verständnis und die Kraft des Sports, um Zusammenhalt zu schaffen und positive Veränderungen zu bewirken. In einer Zeit, in der Trennendes im Vordergrund steht, richtet sie den Blick auf das, was verbindet. Wer ihr begegnet, spürt sofort: Diese Frau hat eine echte Mission – und sie hat noch viel vor.

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