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3 Min. Lesezeit afghanistan update

Trotz Taliban-Herrschaft: Abschiebungen nach Afghanistan nehmen zu

Während ein Berliner Gericht Deutschlands Verantwortung gegenüber gefährdeten Afghan*innen betont, nehmen Abschiebungen in der Region um Afghanistan massiv zu – auch andere Staaten verschärfen ihren Kurs

Trotz Taliban-Herrschaft: Abschiebungen nach Afghanistan nehmen zu
Foto: omersukrugoksu/Getty Images

Ein Berliner Gericht hat in einem Eilverfahren entschieden, dass die Bundesregierung einer afghanischen Frau und ihren 13 Angehörigen Visa für die Einreise nach Deutschland erteilen muss. Ihnen wurde im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms bereits eine Aufnahmezusage erteilt. Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, freiwillige Aufnahmeprogramme – wie dieses – möglichst auslaufen zu lassen.

Das Gericht stellte allerdings klar, dass diese Zusage rechtlich bindend ist und Deutschland sich nicht ohne Weiteres davon lösen kann. Die Familie hält sich derzeit in Pakistan auf und fürchtet die Abschiebung nach Afghanistan, wo ihr unter der Herrschaft der Taliban Gefahr droht.

Rückkehr in den Albtraum

Die erschütternden Bilder von Afghan*innen, die sich im Sommer 2021 an US-Militärflieger auf dem Flughafen Kabul klammerten, bleiben als Symbol des Zusammenbruchs und der Verzweiflung im kollektiven Gedächtnis. Mit dem Abzug der NATO-Truppen fiel nicht nur das politische System Afghanistans, sondern auch viele humanitäre Evakuierungsprogramme westlicher Länder wurden eingestellt oder stark eingeschränkt.

Seit der Machtübernahme der Taliban haben diskriminierende Maßnahmen – insbesondere gegen Frauen und Mädchen, wie das Verbot von Schulbildung über die sechste Klasse hinaus und das Arbeitsverbot für Frauen im öffentlichen Dienst – zusammen mit einer weit verbreiteten Armut, die laut internationalen Organisationen über 90 % der Bevölkerung betrifft, Millionen Afghan*innen zur Flucht gezwungen. Die Nachbarländer Iran, Pakistan und Tadschikistan sind dabei zu den Hauptzielen der Menschen geworden.

In den vergangenen Monaten haben diese drei Länder nahezu gleichzeitig mit massenhaften Abschiebungen afghanischer Geflüchteter begonnen. Einige Beobachter*innen werten dieses Vorgehen als gezielten Druck auf das Taliban-Regime, andere führen es auf innenpolitische Entwicklungen in den jeweiligen Ländern zurück.

Laut eines aktuellen Berichts der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden zwischen dem 1. Januar und dem 5. Juli 2025 über 1.117.405 Personen nach Afghanistan abgeschoben (IOM-Bericht vom 5. Juli 2025). Die Zahlen steigen weiter an – allein aus dem Iran betraf dies an einigen Tagen bis zu 40.000 Menschen. Laut IOM sind unter den Abgeschobenen viele alleinstehende Frauen, weibliche Haushaltsvorstände und unbegleitete Kinder – besonders gefährdete Gruppen (UNHCR-Bericht).

Die Lage in Afghanistan

Die Taliban, die international bislang nur von Russland anerkannt wurden, stehen angesichts sinkender internationaler Hilfe vor massiven Haushaltsengpässen. Ein Großteil der verfügbaren Mittel fließt in militärische Ausgaben und zur Besoldung ihrer Kämpfer. Zivile Institutionen wurden zur Haushaltsentlastung stark zurückgefahren. Statt konkret auf die Abschiebekrise zu reagieren, beschränken sich die Taliban auf symbolische Ankündigungen, wie den Bau von „Wohnsiedlungen für Rückkehrer“ – ein Vorhaben, das angesichts der wirtschaftlichen Lage kaum realistisch erscheint.

Während der Staat kaum handlungsfähig ist, zeigen die Menschen in Westafghanistan bemerkenswerte Solidarität. Freiwillige Transporte bringen Rückkehrerinnen von den Grenzen in Städte wie Herat, wo lokale Hilfsinitiativen gemeinsam mit dem Privatsektor täglich Tausende warme Mahlzeiten, Babynahrung, Wasser und Hygieneartikel bereitstellen. Doch Expertinnen warnen: Sollte die Abschiebewelle weitergehen, werden auch diese zivilen Kapazitäten bald erschöpft sein – mit möglicherweise dramatischen Folgen.

Menschenrechtsverletzungen im toten Winkel der Weltpolitik

Die pauschale Abschiebung afghanischer Geflüchteter ohne Einzelfallprüfung verstößt eklatant gegen internationale Menschenrechtsstandards. Unter ihnen befinden sich tausende ehemalige Angehörige der afghanischen Streitkräfte und Verwaltung der Republik – Gruppen, die nach dem Taliban-Machtantritt gezielt verfolgt, entführt oder getötet wurden.

Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) hat kürzlich Haftbefehle gegen Taliban-Chef Hibatullah Akhundzada und Oberrichter Abdul Hakim Haqqani erlassen – wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch geschlechtsspezifische und politische Verfolgung. Doch das Regime zeigt sich unbeeindruckt. Afghanistan bleibt das einzige Land der Welt, in dem Frauen weder arbeiten noch zur Schule gehen dürfen. Gleichzeitig verlieren auch Männer durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch zunehmend ihre Existenzgrundlage.

Europa auf dem Rückzug

Viele europäische Länder haben ihre Schutzprogramme für gefährdete Afghan*innen stillgelegt. In einem besonders brisanten Fall warten Hunderte afghanische Ortskräfte der Bundeswehr, die aufgrund ihrer Tätigkeit für Deutschland gefährdet sind und eine offizielle Aufnahmezusage erhalten haben, seit über vier Jahren in Pakistan auf ihre Ausreise – ihr Schicksal wurde offenbar in den politischen Gängen Berlins vergessen.

Gleichzeitig beteiligt sich die Bundesregierung an einem UN-Vorstoß zur politischen Annäherung an die Taliban und arbeitet daran, die Rückführung afghanischer Geflüchteter zu erleichtern – ein Schritt, der Deutschlands Ansehen als Verfechter der Menschenrechte gefährden und das repressive Taliban-Regime stärken könnte.

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