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3 Min. Lesezeit Kolumne

Talahon und Co. – neuer Begriff, alte Diskriminierung?

Alle zwei Wochen schreibt Lina in ihrer Kolumne „Salam und Privet“ über das Leben zwischen mehreren Kulturen. Diesmal schreibt sie über den Begriff „Talahon“, der auf Social Media die Runde macht.

Talahon und Co. – neuer Begriff, alte Diskriminierung?
Fotograf*in: Carl Tronders auf Unsplash

Wie viele andere in meinem Alter bin auch ich als junge Frau Anfang 20 chronisch online. Das hat zwar einerseits den Vorteil, dass ich immer und überall uneingeschränkten Zugriff zu Informationsquellen habe und dementsprechend über alle aktuellen Geschehnisse auf der großen weiten Welt informiert bin; andererseits werde ich aber auch einer Flut von Informationen ausgesetzt, die ich gar nicht haben will.

So ist auch das letzte Social Media Phänomen nicht an mir vorbeigezogen: Talahons. So bezeichnen TikTok und Co. seit neustem junge migrantisierte Männer, die in weiten Hosen, Fußballtrikots und Bauchtasche samt passender Cap vor der Kamera posieren. Während die einen sich über den Hype sichtlich amüsieren und auf den Zug aufspringen, schütteln die anderen nur den Kopf und geben alles dafür, bloß nicht mit diesen jungen Männern in dieselbe Schublade gesteckt zu werden.

„Wegen euch hassen uns die Deutschen“, „Abschieben!!“ und „Danke, dass ihr alles annulliert, wofür wir jahrelang gekämpft haben“, sind dabei beispielhaft herausgegriffene Aussagen, die den Kommentarspalten entnommen werden können. Nun reden Meinungsblogger*innen über Talahons und die politische Bubble hängt sich gleich in die Diskussion mit rein: Ist Talahon bloß ein neuartiges Wort für die rassistische Beleidigung „Kanake“?

Von Ablehnung bis Zustimmung und allem dazwischen ist jede Meinung irgendwo zu finden und plötzlich ist das Wort Talahon in aller Munde. „Natürlich ist das kein Rassismus!“, empört man sich und beruft sich darauf, dass Talahon nur einen besonderen Kleidungsstil beschreibe. Hierüber streiten nicht nur Deutsche, sondern auch Menschen, die selbst eine entsprechende Migrationsgeschichte haben. Die Verfechtenden der Gegenansicht lässt dieser Versuch einer Erklärung jedoch kalt. Und zugegebenermaßen bin auch ich nicht wirklich überzeugt davon, dass hinter diesem einfachen Wort nicht doch mehr als ein bloßer Kleidungsstil steht.

"In Wahrheit offenbart sich hier eine tiefere, besorgniserregende Dynamik"

Und genau hier setzt mein Déjà-vu ein. Es scheint, als würde wieder einmal eine Debatte über Abgrenzung innerhalb der Community entstehen, bei der vermeintlich „gute“ „Ausländer“ sich von vermeintlich „schlechten“ abgrenzen wollen – in diesem Fall also von den sogenannten Talahons. Die Angst, in die gleiche Schublade gesteckt zu werden, treibt viele dazu, sich demonstrativ von diesen jungen Männern zu distanzieren, ja, sie sogar öffentlich zu kritisieren. Doch dieser Drang zur Abgrenzung lässt es erst recht so wirken, als stecke hinter dem Begriff „Talahon“ doch mehr als nur eine oberflächliche Beschreibung eines Kleidungsstils.

In Wahrheit offenbart sich hier eine tiefere, besorgniserregende Dynamik: Die Abgrenzung von den „anderen“ in der Hoffnung, den eigenen Status in der Gesellschaft zu sichern, führt dazu, dass eine neue Form von Stigmatisierung entsteht. Plötzlich gibt es wieder eine „richtige“ und eine „falsche“ Art, „Ausländer“ zu sein – ein Muster, das wir leider nur allzu gut kennen. Und genau das gibt Rassist*innen eine neue Einfallstür: Mit „Talahon“ scheint ein Begriff entstanden zu sein, der sich als rassistische Beleidigung nutzen lässt, ohne dass er bisher die gleiche gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Empörung wie zum Beispiel „Kanake“ erregt hat.

Es ist quasi ein „Kanake 2.0“ – eine vermeintlich harmlose Bezeichnung, die aber dazu genutzt werden kann, um eine Gruppe von Menschen abzuwerten und auszuschließen, während andere sich von dieser Gruppe distanzieren, um selbst akzeptiert zu werden.

Diese Entwicklung ist gefährlich, weil sie nicht nur Spaltung innerhalb der eigenen Community fördert, sondern auch rassistische Tendenzen in der Gesellschaft verstärkt. Der Begriff „Talahon“ mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen, doch seine Nutzung kann tiefsitzende Vorurteile und Abwertungen zementieren, ohne dass die breite Masse diese sofort als solche erkennt.

"Doch wie bei jeder Diskussion gilt auch hier: Der Ton macht die Musik"

Und genau das macht ihn so tückisch. Es ist ein schleichender Prozess, bei dem ein neuer Begriff eine alte, längst verurteilte Funktion übernimmt – und das, bevor er überhaupt als problematisch erkannt wird. Wir müssen also sehr genau hinsehen, was hier passiert, und uns die Frage stellen, ob wir wirklich noch einmal zulassen wollen, dass ein solcher Begriff Einzug in unser Vokabular hält und dabei zu einem weiteren Werkzeug der Ausgrenzung und Abwertung wird.

Der Diskurs, der um den Begriff „Talahon“ entstanden ist, zeigt, wie wichtig es ist, aufmerksam und sensibel für die Art und Weise zu bleiben, wie wir über andere sprechen; besonders in einer so vielfältigen und vielschichtigen Gesellschaft wie der unseren. Es ist gut und richtig, solche Diskussionen zu führen, denn sie helfen uns, uns selbst und die Sprache, die wir verwenden, kritisch zu hinterfragen. Doch wie bei jeder Diskussion gilt auch hier: Der Ton macht die Musik. Nicht jede Person, die den Begriff verwendet, hat zwangsläufig rassistische Absichten, und es wäre falsch, jedem pauschal solche Tendenzen zu unterstellen.

Gleichzeitig ist jedoch entscheidend, sensibilisiert zu bleiben und die Auswirkungen unserer Worte und Handlungen im Auge zu behalten. Wenn wir bemerken, dass ein Begriff zunehmend inflationär oder in einer abwertenden Weise genutzt wird, ist es unsere Verantwortung, darauf hinzuweisen und uns gegebenenfalls auch dagegen auszusprechen. Denn Sprache ist mächtig – und wie wir sie nutzen, kann entweder Brücken bauen oder Gräben vertiefen.

Am Ende liegt es an uns, eine Sprache zu fördern, die verbindet und nicht spaltet. Dafür müssen wir miteinander sprechen, einander zuhören und viele Dinge geschickt miteinander abwägen: erst dann besteht eine reale Chance, dieser Aufgabe gerecht zu werden und ein Miteinander zu schaffen, in dem Zusammenhalt an erster Stelle steht.

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