Der Sturz des Assad-Regimes hat eine neue politische Ära in Syrien eingeläutet. Doch trotz des Machtwechsels bleibt das Land gefangen im Erbe internationaler Sanktionen, die in den letzten fünf Jahrzehnten das Leben der Syrer*innen in vielen Bereichen massiv beeinträchtigt haben. Ahmad al-Sharaa, HTS-Anführer und Generalkommandant der Kräfte, die das Assad-Regime stürzten, fordert nun die Aufhebung dieser Sanktionen, die er als Relikt des „Tyrannen, der gegangen ist“, beschreibt.
Stillstand und Rückschritt
Rückständig zeigt sich die Lage in Aleppo deutlich. „Wir hängen technologisch mindestens 20 Jahre hinter dem Rest der Welt zurück“, erzählt Nour (24), eine Studentin an der Universität Aleppo. „Die meisten hier nutzen immer noch uralte Mobiltelefone, während andere Länder über 5G und künstliche Intelligenz sprechen.“ Die Preise für moderne Geräte sind aufgrund von Importbeschränkungen und wirtschaftlichem Verfall unerschwinglich.
Nicht besser ist die Lage in anderen Städten. Auch in der Hauptstadt Damaskus ist das Bild ähnlich düster. „Unsere Laptops schaffen gerade mal die nötigsten Aufgaben“, sagt Samer, ein Händler für Elektronik. „Die Reparatur wird durch den Mangel an Ersatzteilen, der durch die Sanktionen verursacht wurde, zur Herausforderung.“ Auch die Situation im Automobilsektor im Herzen Syriens ist desolat. Fadi (33), ein Mechaniker in Homs, beschreibt, wie Werkstätten immer noch mit Fahrzeugen aus den 1980er- und 1990er-Jahren arbeiten. „Neue Autos gibt es hier nicht, und selbst alte Modelle zu reparieren, ist durch den Mangel an Ersatzteilen unglaublich teuer geworden.“
Ein halbes Jahrhundert Sanktionen
Die internationalen Sanktionen gegen Syrien begannen 1979, als die USA das Land auf die Liste der Terrorstaaten setzten. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Maßnahmen immer weiter verschärft – ob nach Anschlägen, politischen Konflikten oder wegen der Unterstützung terroristischer Gruppierungen.
2003 verhängten die USA mit dem „Syria Accountability Act“ ein Handelsverbot, das nur Nahrungsmittel und Medikamente ausnahm. Nach der Ermordung des libanesischen Premierministers Rafiq Hariri im Jahr 2006 sowie Vorwürfen der Geldwäsche 2008 wurden weitere Sanktionen erlassen. Den entscheidenden Bruch brachte jedoch die syrische Revolution 2011. Die USA und die EU verhängten strenge Maßnahmen, die sich direkt gegen Baschar al-Assad, seine Familie und seine Unterstützenden richteten. Neben der Blockade von Vermögenswerten wurden der Handel mit Öl und andere wirtschaftliche Aktivitäten stark eingeschränkt, was das Land weiter in die Isolation trieb.
Das „Caesar-Gesetz“: Höhepunkt der Isolation
Mit dem 2020 verabschiedeten Caesar-Gesetz verschärften die USA die Sanktionen nochmals deutlich. Dieses Gesetz kriminalisierte jede Zusammenarbeit mit dem Assad-Regime, insbesondere bei Wiederaufbauprojekten ohne internationale Zustimmung. Es traf wichtige Wirtschaftssektoren wie Energie, Bauwesen und Ölproduktion und führte zu einer weiteren Verschlechterung der Lebensbedingungen.
Trotz des politischen Wandels bleibt die Aufhebung der Sanktionen eine enorme Herausforderung. Expertinnen weisen darauf hin, dass es Jahre dauern könnte, wie es bereits in anderen Ländern wie Irak und Libyen der Fall war. Von Aleppo bis Damaskus und Homs zeugen die Geschichten der Menschen von den tiefen Wunden, die Sanktionen und Krieg hinterlassen haben. Doch während die Syrerinnen unter den Einschränkungen leiden, wächst auch die Hoffnung auf einen echten Neuanfang.