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Syrien: Bei vielen kehrt langsam wieder mehr Realismus ein

Bei vielen Syrer*innen weicht die Euphorie der letzten Wochen langsam dem Realismus. Dem Land stehen große Anstrengungen bevor, um einen funktionierenden demokratischen Staat aufzubauen.

Syrien: Bei vielen kehrt langsam wieder mehr Realismus ein
Fotograf*in: Nasser Alzayed

Nach der unglaublichen Erleichterung und dem Gefühl von Hoffnung, die wir durch den Sturz Assads in den letzten Wochen erlebten, kehrt bei vielen Syrerinnen langsam wieder mehr Realismus ein. Bei mir ist es jedenfalls so – besonders, wenn ich an die aktuellen politischen Entwicklungen, die wirtschaftliche Not und die ungewisse Zukunft vieler Syrerinnen denke. Die lange Herrschaft des Assad-Clans und die Schrecken der Diktatur und des Krieges haben tiefe Wunden hinterlassen. Dieses schmerzhafte Erbe hat bei vielen, auch bei mir, ein starkes Misstrauen gegenüber neuen Systemen und Führungen erzeugt. Es wächst die Sorge, dass ein neues Regime die Muster der Vergangenheit wiederholt.

Diese Sorgen werden ehrlich gesagt auch verstärkt von den vielen Berichten, die mich aus Syrien erreichen. Es sind sehr viele internationale Journalistinnen im Land, zum ersten Mal seit über einer Dekade, und sie fangen an alles zu durchleuchten. Gestern habe ich einen Artikel in der Financial Times gelesen, in dem zwei Journalistinnen ein Meeting zwischen ehemaligen Assad Bürokraten und einem Technokraten der neuen, HTS-geführten Regierung.

Die Schilderungen geben einen Einblick in die tiefe Korruption, Hierarchie der Angst und vor allem der Sinnlosigkeit des alten Regimes. Dieser Artikel hat mir einmal mehr vor Augen geführt, wie viel Arbeit auf die Syrerinnen und Syrer zukommt. Syrien braucht extreme Bemühungen, um überhaupt die Grundlage für einen funktionierenden Staat zu schaffen.

Eine zentrale Frage bleibt auch die Rolle der islamistischen Rebellengruppen, insbesondere der HTS. Bis jetzt wirkt ihr Verhalten in Damaskus zu schön, um wahr zu sein. Werden sie wirklich ein freieres System erbauen, oder entwickeln sie sich ähnlich wie die Taliban in Afghanistan, oder das iranische Regime in den 1980 Jahren? Ihre Führung spricht von Hoffnung, Vertrauen und Ruhe für das syrische Volk … aber wie viele dieser Versprechen werden sie halten können?

Syrien ist heute ein Land in Hoffnung und in Trümmern. Neben der wirtschaftlichen und physischen Zerstörung des Landes und des Staates gibt es auch die gesellschaftliche Zerstörung. Hier in Deutschland gibt es ein Verständnis davon, was viele Jahre Diktatur und Regime der Angst mit einer Gesellschaft machen. Der Begriff „gespalten“ kommt da zu kurz. Der Sturz von Assad hat bei vielen Menschen neue Zuversicht entfacht, viele wiederholen Sprüche der Revolution wie „Syrien ist eins“, oder „Wir haben gewagt, zu träumen“. Gleichzeitig sind die Herausforderungen auch enorm.

Die Zukunft Syriens ist ungewiss. Wird es ein autoritäres Modell mit Fokus auf Wirtschaft wie in Saudi-Arabien, eine instabile Demokratie wie in der Türkei, oder ein repressives Regime wie im Iran? Es liegt an uns allen, gemeinsam den Wiederaufbau zu gestalten. Die nächsten Schritte werden zeigen, ob Hoffnung oder Chaos unser Schicksal bestimmen.

Da die Entwicklungen in Syrien jetzt nicht mehr so rasant kommen, werden wir den Rhythmus dieses Newsletters ab dieser Folge etwas verlangsamen. Wir planen, dir jetzt 2–3 x pro Woche das „syrien update“ zu schicken.

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Eine kurze Zusammenfassung der Lage

Binnenvertriebene und humanitäre Lage:

Proteste und Sicherheitslage:

Politische und militärische Entwicklungen:

Ermittlungen und Rechenschaft:

Internationale Reaktionen:

Assads Flucht:

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