Asmaa, eine 24-jährige Architekturstudentin, lebt seit acht Jahren in Dortmund. Ihre Flucht aus Syrien führte sie in den dunkelsten Tagen ihrer Heimat nach Deutschland. Doch nun keimt in ihr ein vorsichtiger Optimismus. „Vielleicht erleben wir gerade den Anfang von etwas Neuem“, sagt sie mit einem Lächeln, das zwischen Sehnsucht und Zuversicht oszilliert. Sie träumt von einem Syrien, das frei und liberal ist – ein Land, in das Geflüchtete wie sie eines Tages zurückkehren können. Trotz der schmerzhaften Bilder von Millionen syrischen, geflüchteten Menschen in Lagern – in Idlib, der Türkei oder Europa – bleibt Asmaa hoffnungsvoll. Für sie sind die jüngsten Fortschritte der Opposition mehr als nur militärische Erfolge. Sie sieht darin das Potenzial für einen Wiederaufbau ihres Landes, das so lange in Schutt und Asche lag.
Ein anderes Narrativ
Asmaa ist sich der Skepsis bewusst, mit der viele die syrische Opposition betrachten. Oft wird diese pauschal als extremistisch oder islamistisch abgestempelt. Doch sie widerspricht diesem Bild entschieden. „Natürlich gibt es Gruppen mit radikalen Ansichten, aber sie repräsentieren nicht die gesamte Bewegung. Viele kämpfen für Freiheit, Würde und eine Zukunft ohne Diskriminierung“, erklärt sie. Ihr Traum ist ein Syrien, in dem Religion und Herkunft keine Rolle spielen – ein Land, das alle Menschen gleichberechtigt akzeptiert.
Ambivalenz und Angst vor den Konsequenzen
Doch nicht alle Syrer*innen teilen ihre Hoffnung. Joanna, eine 28-jährige kurdische Lehramtsstudentin aus Qamischlo im Norden Syriens, schildert die aktuelle Lage mit gemischten Gefühlen. „Wir wissen nicht, ob wir uns freuen sollen oder ob das, was kommt, noch schlimmer sein wird“, sagt sie. Für viele Kurd*innen bleibt die Angst bestehen, dass ein Sturz des Assad-Regimes nicht unbedingt zu mehr Freiheit, sondern zu neuer Unterdrückung führen könnte. Joanna erklärt: „Viele islamistische Gruppen innerhalb der Opposition sehen uns Kurden nicht als Teil von Syrien. Wird es uns besser gehen, wenn sie die Macht übernehmen? Oder wird es nur ein anderer Tyrann sein, der uns unterdrückt?“ Auch in den vom Regime kontrollierten Gebieten herrscht Unsicherheit. Ein Bewohner aus Damaskus beschreibt die Stimmung dort als „die Ruhe vor dem Sturm“.
Geopolitische Dynamiken und Risiken: die komplexen Realitäten
Jamal, ein 35-jähriger Ingenieur aus Hama, sieht die gegenwärtigen Entwicklungen differenziert. Für ihn steht fest: Die Schwächung von Assads internationalen Unterstützern wie der Hisbollah und dem Iran – durch israelische Angriffe und die Ablenkung Russlands durch den Ukraine-Krieg – hat das Machtgefüge in Syrien verändert. „Ohne diese Verbündeten steht das Regime auf wackeligen Beinen. Die Hisbollah, die iranischen Revolutionsgarden und Russland waren die Säulen, die Assad gestützt haben. Wenn diese Säulen fallen, fällt auch das Haus“, erklärt Jamal. Doch er warnt vor übertriebenem Optimismus. „Assad wird nicht einfach zusehen, wie sein Regime zerfällt. Er wird zu drastischen Maßnahmen greifen, und das könnte katastrophale Folgen haben – nicht nur für seine Gegner, sondern für alle Syrer.“ Die Angst vor Vergeltung durch das Regime ist real. Szenarien wie der Einsatz chemischer Waffen, verschärfte Belagerungen oder gezielte Angriffe lassen viele Menschen in ständiger Furcht leben.
Zwischen Trümmern und Träumen
Syrien steht an einem historischen Wendepunkt. Die Aussicht auf Wandel bringt Hoffnung, doch sie wird von tiefer Unsicherheit begleitet. Für Menschen wie Asmaa, Joanna und Jamal ist eines klar: Das Land wird nie wieder so sein wie zuvor. Die syrische Diaspora, insbesondere junge Menschen in Europa, sieht ihre Rolle im Wiederaufbau ihres Heimatlandes. „Wir können hier in Deutschland viel lernen – über Demokratie, Menschenrechte und Stadtplanung. Irgendwann können wir dieses Wissen nach Syrien bringen“, erklärt Asmaa entschlossen.
Ungewisse Zukunft: Hoffnung auf ein neues Kapitel
Die kommenden Wochen und Monate werden entscheidend sein. Wird Syrien ein neues Kapitel aufschlagen – eines, das von Freiheit, Wiederaufbau und Versöhnung geprägt ist? Oder droht eine weitere Phase des Chaos und der Gewalt? Für Jamal bleibt der Weg klar, auch wenn er von Hindernissen durchzogen ist: „Wir brauchen mehr als nur den Sturz eines Diktators. Wir brauchen eine Vision für eine vereinte und gerechte Zukunft.“ Asmaa, die trotz der Herausforderungen hoffnungsvoll bleibt, fasst es so zusammen: „Ohne Träume gibt es keine Zukunft. Ich träume von einem Syrien, dass wir alle gemeinsam wiederaufbauen können.“ Doch ob diese Träume Realität werden, hängt von der Fähigkeit des syrischen Volkes ab, Hoffnung und Einheit inmitten des Chaos zu bewahren.
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