Ende der 1990er-Jahre musste ich meine sechs Kinder und ihre Mutter in Syrien verlassen – um als Englischlehrer in Saudi-Arabien und in Katar zu arbeiten. Es dauerte genau 22 Jahre. Meine Familie begleitete mich nur in den ersten beiden Jahren. Danach waren wir überzeugt, dass es im Interesse der Familie besser sei, dass ich das allein mache und meine Frau und meine Kinder in unserer Heimat bleiben. Die Hauptgründe für diese Entscheidung waren wie üblich wirtschaftliche – sowie die Bildung
und die Zukunft unserer Kinder.
Süße Früchte, saure Trauben erntete die Familie.
Am Anfang kam ich zwei Mal im Jahr nach Hause: im Winter für etwa zwei Wochen, in den Sommerferien etwa zwei Monate. Das beruhigte bis zu einem gewissen Grad die negativen Auswirkungen, welche die Abwesenheit des Vaters mit sich bringt. Dann bekam meine Frau ein Visum für Katar und besuchte mich ab und zu. Mal blieb sie zwei Wochen, mal zwei Monate. Unsere gemeinsame Zeit erleichterte ihre Leiden sehr. Welche süßen Früchte und welche sauren Trauben erntete die Familie nach dieser langen Erfahrung? Meine Familie rühmt sich heute damit, dass drei Söhne Ärzte und zwei Söhne Apotheker wurden, unsere Tochter wurde Englischlehrerin – dank der Sorgfalt und Geduld ihrer Mutter. „In einem Schuss werdet ihr zwei Vögel jagen“, sagte ein Nachbar mal zu uns und erklärte mir, was er damit meinte: „Du hast ein sicheres Einkommen und hast deine Familie auf sicheren Füßen zu stehen gelehrt. Sie lernten, unabhängig zu sein und Verantwortung zu übernehmen.“ Und jedes Mal, wenn ich nach Syrien kam, war es für uns alle ein Fest, und jede Reise war für meine Frau ein volles Glück. Sogar die traurigen Augen der Abschiedsmomente erzählten uns, wie tief unsere Liebe zueinander und zu unserer ganzen Familie war, und wie treu wir uns untereinander sind. Aber was für einen Preis haben wir für diesen großen Reichtum bezahlt? Für meine Frau war es überhaupt nicht leicht, die Verantwortung für die Erziehung und Bildung von einem halben Dutzend Söhne und einer Tochter allein zu übernehmen. Bis heute hat sie den bitteren Geschmack davon in ihrem Mund.
Sind ferne Beziehungen der Lebensstil von heute?
In meinem Deutsch-Kursbuch wurden Experten zitiert, die davon ausgehen, dass etwa acht Prozent aller Paare in Deutschland in einer Fernbeziehung leben. Der häufigste Grund für die räumliche Trennung sei die Arbeit oder ein Studienplatz. Sind ferne Beziehungen der Lebensstil von heute? Und was passiert, wenn Paare für längere Zeit weit weg voneinander leben? Meine Familie und ich haben diese Erfahrung viele Jahre lang gemacht, davon wollte ich an dieser Stelle berichten.
Das Leben ist nie ganzes Glück oder ganzes Leiden. Positive und negative Aspekte gestalten die beiden
Seiten der Medaille unseres Lebens. Wir müssen lernen, wie man die Härten des Lebens aushält, um die Freuden zu erlangen. Unsere Familie genießt diese Freuden heute nach zwei Jahrzehnten, die wir in unserem lieben Leben entfernt voneinander verbrachten.
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