Damaskus: zwischen Hoffnung und Sorge
Im Herzen der Hauptstadt von Syrien, dem Zentrum der Macht des Assad-Regimes, spüren viele Syrer*innen eine nie dagewesene Aufbruchstimmung. Mahmoud (35), ein Lehrer in Damaskus, sagt: „Endlich fühlen wir uns frei, wie wir es nie zuvor kannten. Wir sehen die Hoffnung in den Augen der Kinder und der Bürger, die immer unter der Last der Angst lebten. Jetzt können wir von einer besseren Zukunft träumen, in der jeder seine Meinung äußern kann, ohne Angst vor Verhaftung oder Verfolgung zu haben.“ Trotz dieses neuen Aufbruchs zeigt Mahmoud Besorgnis über die Zukunft des Landes. „Syrien braucht Jahre, um sich zu erholen. Die Wunden, die der Krieg hinterlassen hat, heilen nicht über Nacht. Wir haben Angst, dass das Land in Chaos und neue Konflikte stürzen könnte, wenn wir nicht vorsichtig sind.“ Sana (22), Studentin aus Damaskus, spricht über die sozialen Herausforderungen, die Syrien nach dem Sturz des Regimes erwarten. „Der Krieg und die Propaganda haben das gesellschaftliche Gefüge des Landes zerrissen. Wir müssen wieder lernen, miteinander zu leben, über ethnische, religiöse und politische Gräben hinweg.“
Hama: Hoffnungen mit Vorsicht
Besonderes in Hama, einer Stadt mit einer langen Geschichte des Widerstands gegen das Regime, sind die syrischen Bürger*innen von einer Mischung aus Hoffnung und Vorsicht erfüllt. Ahmad (28), ein Bewohner von Hama, der viele Verwandte in den Ereignissen von 2011 verloren hat, sagt: „Syrien braucht echte Einheit zwischen allen seinen Bürgern. Wir hoffen, dass der Frieden kommt, aber wir haben Angst, dass ausländische Mächte das Chaos ausnutzen könnten, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen.“ Die Aktivistin Fatima (32) spricht über die Herausforderungen, die den Wiederaufbau der syrischen Gesellschaft betreffen werden: „Wir brauchen echte demokratische Strukturen. Die größten Herausforderungen wird es sein, die Denkweise der Menschen zu verändern, die unter diesem autoritären Regime aufgewachsen sind. Es wird schwieriger sein, den Menschen die Werte von Freiheit und Gerechtigkeit näherzubringen, als die zerstörten Städte wieder aufzubauen.“
Aleppo: Zerstörung und der Traum von einem Neuanfang
In der am stärksten zerstörten Stadt des Krieges – Aleppo –, zeigt sich eine Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung. Abdulrahman (26), ein Bewohner Aleppos, der nach Jahren des Exils in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist, sagt: „Obwohl die Zerstörung groß ist, sehen wir eine große Chance, unser Leben wieder aufzubauen. Wir haben die Hoffnung auf ein gerechteres Syrien. Aber wir haben auch Angst, dass sich verschiedene Gruppen die Kontrolle über strategische Gebiete sichern und so die politische Lage weiter destabilisieren.“
Doch Mariam (28), eine Einwohnerin der Stadt, die jahrelang in Kriegsgebieten lebte, fühlt sich sowohl hoffnungsvoll als auch besorgt. „Ich hatte Angst, alles zu verlieren. Aber heute glaube ich, dass wir in einem Land leben können, das sich von Grund auf neu aufbaut. Die Angst vor der Zukunft bleibt, aber ich denke, wir können ein neues Syrien aufbauen, wenn wir sicherstellen, dass es fair und inklusiv wird“, sagt sie.
Al-Hasaka: die Vision einer geeinten Nation
Auch in Al-Hasaka, im Nordosten Syriens, wo viele Kurd*innen leben, träumen die Bürger*innen von einer Zukunft, in der das friedliche Zusammenleben aller syrischen Gruppen im Mittelpunkt steht. Bei Rima (30), Lehrerin aus Qamischli, ist die Rede von der Notwendigkeit, alle syrischen Gemeinschaften in den politischen Prozess einzubeziehen. „Der zukünftige Staat muss die Rechte aller Gruppen respektieren. Wir wollen nicht, dass eine ethnische oder religiöse Gruppe von der politischen Beteiligung ausgeschlossen wird. Unsere größte Angst ist, dass das Land erneut in eine Diktatur oder in neue Konflikte abgleitet.“
Essen, Deutschland: Hoffnungen auf Rückkehr
Sowohl im Exil als auch im Heimatland spiegeln die Stimmen aus Deutschland die gemischten Gefühle vieler Syrer*innen. In Essen, einer Stadt im Ruhrgebiet, die viele syrische Geflüchtete beherbergt, teilen viele Syrer*innen die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Heimat. Yusuf (33), der vor Jahren nach Deutschland geflüchtet ist, sagt: „Ich bin optimistisch, was den Sturz des Regimes betrifft und hoffe, eines Tages nach Syrien zurückzukehren. Aber wir haben Angst, dass das Land nach dem Sturz des Regimes erneut von Interessengruppen in externe Konflikte verwickelt wird, was eine Rückkehr unmöglich macht.“
Die größte Angst: das Risiko von Chaos
Trotz der weit verbreiteten Hoffnung auf einen Neuanfang bleibt die größte Sorge der Syrer*innen das potenzielle Chaos nach dem Sturz des Regimes. Viele, die sich über das Ende der Diktatur freuen, befürchten, dass das Land in einem politischen Vakuum versinkt, in dem verschiedene Gruppen um die Macht kämpfen. „Wir haben Angst, dass das Land in völliges Chaos stürzt und wieder zur Spielwiese für ausländische Mächte wird“, sagt Hossam (25), ein Student aus Dortmund. „Die größte Sorge ist, dass die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden und das Land in neue Kriege und Konflikte verwickelt wird.“
Nach dem Sturz des Assad-Regimes herrscht in Syrien eine Atmosphäre des Optimismus, aber auch der Besorgnis. Die Hoffnung auf ein freies und gerechtes Syrien wächst, doch gleichzeitig gibt es Ängste, dass die politische Transition in Chaos und Konflikte umschlagen könnte. Die syrischen Bürger*innen stehen vor einer gewaltigen Herausforderung: Die Einheit des Landes, der Wiederaufbau der Gesellschaft und die Schaffung eines demokratischen Systems sind entscheidend, aber auch die größte Herausforderung. Nur durch Zusammenarbeit und einen inklusiven politischen Prozesses kann Syrien wieder zu einer stabilen und gerechten Nation werden.
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