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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Stephanie Rangel Gutierrez über Stimmen, die sie stärken möchte

In Mexiko-Stadt forschte Stephanie Rangel Gutierrez über die Erfahrungen haitianischer Migrant*innen. Aufgrund ihrer eigenen Migrationsbiografie hat die Kolumbianerin zu dieser Arbeit einen besonderen Bezug.

Stephanie Rangel Gutierrez über Stimmen, die sie stärken möchte
Fotograf*in: Privat

Bogotá, Berlin, Kiel, Hamburg, Mexiko-Stadt, Port au Prince. Menschen migrieren weltweit an die unterschiedlichsten Orte, aus den unterschiedlichsten Gründen. Migrationsströme zu studieren, analysieren und akademisch zu bewerten ist eine Disziplin, welche enorm viel Feingefühl, Empathie und Geduld benötigt. Stephanie Rangel Gutierrez verbindet all diese Eigenschaften und erzählt von ihren Erfahrungen als kolumbianische Migrantin in Deutschland und die haitianische Diaspora in Mexiko.

„Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass ich mal so weit weg von zu Hause leben werde“

„So unfassbar viel! Ich könnte es gar nicht in Worte fassen“, antwortet Stephanie Rangel Gutierrez auf die Frage, was wir von den Migrant*innen dieser Welt lernen können. Die Kolumbianerin muss es wissen. 2016 fasste sie entgegen vieler Erwartungen im eigenen Umfeld den Entschluss, nach Deutschland zu kommen. Durch ihr Studium der sozialen Arbeit in Bogotá hatte sie eine Summer-School in Berlin absolviert und lernte somit Deutschland kennen. „Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass ich mal so weit weg von zu Hause leben werde“, schmunzelt die 33-jährige Masterstudentin der Lateinamerikastudien der Universität Hamburgs. Sie hatte damals ein hervorragendes Stipendium abgelehnt und nicht geplant, nach der Summer-School nochmal nach Europa zu kommen.

„Die vielfältigen Erfahrungen der haitianischen Diaspora während ihres Transits in Mexiko am Beispiel des informellen Migrantencamps auf dem Plaza Giordano Bruno in Mexiko-Stadt aufzuzeigen“, lautete ihre Forschungsfrage für ein Investigationsprojekt, das sie momentan durchführt. Anfang dieses Jahres reiste sie nach einer vorbereitenden Lehrforschungsreise nach Mexiko-Stadt.

Sie schwelgt in Erinnerungen an Menschen, die ihr in den vergangenen Monaten besonders ans Herz gewachsen sind. Sie verließ vergangenen Sommer Deutschland, um das Forschungsprojekt anzutreten, welches ihr Leben verändern sollte. Ihr Weg führte sie nach Mexiko-Stadt, an eben jenen Plaza Giordano Bruno.

„In den Zeitungen hatte ich gelesen, dass sich dort viele Haitianerinnen niederließen, um auf die Möglichkeiten der Weiterreise zu warten. Den ersten Tag sah ich nur ein paar Zelte, und am nächsten Tag begegnete ich schon einer unglaublichen Menge an Migrantinnen aus ganz Lateinamerika.“ Tagtäglich trat sie den Weg zum Platz Giordano Bruno im Viertel Juarez an – der nach dem italienischen Theoretiker benannt wurde – wo die Menschen ihre Zelte aufgeschlagen hatten, um die alltäglichen Praktiken und das Leben der Migrant*innen in der mexikanischen Hauptstadt zu beobachten.

„Man muss sehr vorsichtig sein, in den Sozialstudien, denn wenn ich mit den Menschen ins Gespräch kam, fragten sie mich natürlich, was ich von ihnen will.“ Sie schmunzelt und meint, dass ein solcher Austausch natürlich immer reziprok sei und sie enorm viel von den Migrierenden gelernt habe. „Über das Land, die Kultur, die Musik, die Sprache …“.

„Selbst Migrantin zu sein und ein reiches ‘Ersteweltland’ wie Deutschland zu verlassen, half mir, Vertrauen zu gewinnen.“

Jene Sprache, das haitianische Kreol, sei ein Schlüssel für sie gewesen, sich der Community überhaupt zu nähern. „Ein Mann sagte zu mir, du bist doch Kolumbianerin, bringe mir Spanisch bei und ich unterrichte dich in Kreol, so haben wir beide etwas davon.“ Über fast drei Monate begleitete die Bogotanerin die Menschen, welche ihre karibische Heimat oft unter dramatischen Umständen verlassen mussten. Das politische Erdbeben und bandenkriegsartigen Zustände auf Haiti, sowie die Nachfolgen mehrere Naturkatastrophen sind einer der schlimmsten „vergessenen“ humanitären Krisen dieses Erdballs, weiß Gutierrez.

„Selbst Migrantin zu sein und ein reiches ‘Ersteweltland’ wie Deutschland zu verlassen, half mir, Vertrauen zu gewinnen.“ Als Frau habe sie sich nicht immer sicher gefühlt, da sie oft bis spät in die Nacht Menschen interviewte für ihre teilnehmende Beobachtung. Aber sie will Mexiko nicht als einzig machistisches Land abstempeln und vor allem betonen, dass auch Länder des globalen Nordens Frauen benachteiligen.

Im Gegensatz zu den Haitianer*innen, die sie kennenlernen durfte, überquerte sie den großen Teich (el gran charco – die große Pfütze) nach Deutschland. Eine Süd-Nordmigration unterscheidet sich stark von Süd-Südmigrationen, aufgrund der globalen Machtverhältnissen. Gutierrez spricht von einem großen Privileg, die Menschen in ihrem privaten Umfeld täglich begleiten zu dürfen.

Sie fühle sich wohl in Deutschland, auch wenn sie nicht sicher ist, ob sie für immer hier bleiben will. Die fehlende Anerkennung der errungenen Kompetenzen oder das ständige In-Schubladen-Strecken der Migrant*innen in Deutschland setzt ihr mehr und mehr zu. Trotzdem gefällt es ihr auch, ein sehr wertvolles internationales Netzwerk an Menschen gefunden zu haben.

Ihre Erzählungen aus Mexiko sprudeln nur so aus Gutierrez heraus und es ist schnell klar, wie prägend die Eindrücke der letzten Monate waren. Sie wolle alles jetzt ordentlich zu Papier bringen, die Routen der Menschen (welche nun teilweise ihren großen Traum der USA erreicht haben), weiter dokumentieren und im Anschluss an ihre Forschungsarbeit vielleicht promovieren.

Gegen Ende des Gesprächs wird sie etwas abwartender und zögert einen Moment bei der Frage nach ihrem persönlichen Wunsch für die Migrantinnen dieser Welt. „Dass sie Gehör erhalten, auch hier in Deutschland. Migrantinnen darf die Handlungsmacht niemals abgesprochen werden und wir müssen aufhören, sie als arme, nicht handelnde Personen zu sehen.“ Dafür kämpft Stephanie Gutierrez und stärkt die Stimmen von Menschen, die viel zu häufig nicht gehört werden.

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