Wer am Montagmorgen das Jugendhaus B8 in Berlin Moabit betritt, bekommt sofort einen Platz und ein Frühstück angeboten. Heute haben sich 15 Frauen versammelt, unterhalten sich in verschiedenen Sprachen, lachen, essen selbstgemachte Marmelade, Brötchen und Eier. Der Treff ist von den „Stadtteilmüttern“ aus Moabit organisiert – die Türen stehen für alle offen. Die Stadtteilmütter sind ein Projekt, in dem Mütter mit Flucht- und Migrationsgeschichte ihre Erfahrungen an andere weitergeben. Die Klientinnen sind oft noch nicht lange in Deutschland, lernen gerade die Sprache und sehen sich so vor besondere Herausforderungen gestellt.
Wie Schwestern mit guter Qualifizierung
Stadtteilmutter Ayshe Syuleymanova meint: „Stadtteilmütter sind wie Schwestern!“ – aber Schwestern mit einer sechsmonatigen Qualifizierung. Sie haben selbst Kinder und können von den Sprachen der betreuten Mütter auf Deutsch übersetzen. Allein in Berlin-Mitte sprechen sie über 27 Sprachen und beraten zu umfangreichen Themen wie Gesundheit, Erziehung, Bildung und Bürokratie. Auch Medienpädagogik, Kommunikation innerhalb der Familie, Suchtprävention und häusliche Gewalt sind Themen, bei denen sie aushelfen.
Ayshe Syuleymanova spricht Bulgarisch, Türkisch, Serbisch, Niederländisch, Englisch und natürlich Deutsch. Sie ist seit drei Jahren dabei und betreut bis zu vier Familien gleichzeitig. Einige kommen sogar auf zehn Betreuungen. Syuleymanova erinnert sich an die Einsamkeit als junge Mutter, sie sprach kein Deutsch und selbst kleinste bürokratische Aufgaben wuchsen zu riesigen Herausforderungen heran. „Für Frauen, die in der Heimat berufstätig waren und hier in einer Notunterkunft sind, ist das wirklich eine sehr große Veränderung“, meint Shiva Saber Fattahy, Leiterin der Stadtteilmütter Moabit. Dort ist sie von Anfang an dabei – zunächst mit nur vier Frauen und dem Motto „Mütter für Mütter“.

Mütter als Zugang zur Integration
Inzwischen gibt es seit 20 Jahren in ganz Berlin Stadtteilmütter – insgesamt fast 300. Dem Programm wurden der Integrationspreis, der Hauptstadtpreis und viele weitere Auszeichnungen verliehen.
Gefördert wird das Landesprogramm von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Die drei Standorte Moabit, Wedding und Gesundbrunnen gehören zur Bethania Diakonie, andere Standorte zum DRK oder der Diakonie Simeon. Die Hälfte der 30-Stunden-Stellen in Mitte wird durch die Senatsverwaltung finanziert, die anderen aktuell noch vom Jobcenter. Sie arbeiten mit dem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, dem Jugendamt, der Stadtmission, dem Verein „Gesicht zeigen“ und vielen weiteren zusammen. Auch Väter sollen einbezogen werden – allerdings: „Mütter sind die Schlüssel zur Integration, zur Familie, den Kindern“, so Saber Fattahy.
Gegenseitiges Helfen und Lernen
Die akute Betreuung erfolgt in zehn Hausbesuchen, die verschiedene Themen behandeln und individuelle Probleme besprechen. Das wird gerne angenommen. Die Mütter suchen aktiv nach Hilfe, berichtet Nicole Yilmaz, eine weitere Stadtteilmutter. Soziale Einrichtungen in der Umgebung vermitteln, wenn eine Mutter mit Flucht- oder Migrationsgeschichte Unterstützung braucht, die Stadtteilmütter sind außerdem in Gemeinschafts- und Notunterkünften präsent und veranstalten Elterncafés, Sprachcafés und Elterngruppen, die auch für Deutsche offenstehen. Darüber hinaus finden Sprechstunden statt. Politische Bildung erfolgt zum Beispiel mit der jährlichen Veranstaltung „Zusammen gegen Rassismus“.

Zu Elternabenden, U-Untersuchungen oder Schuleignungstests kommen die Stadtteilmütter nach Bedarf mit. Sie setzen auf gegenseitiges Helfen und Lernen. Saber Fattahy sagt: „Beibringen ist falsch gesagt, weil wir alle voneinander lernen.“ Die Begleitung der Mütter erfolgt bis zum zwölften Lebensjahr der Kinder, aber meist benötigen die Frauen schon vorher keine oder nur noch selten Unterstützung.
Im Moment ist das Programm bis 2025 finanziert, Saber Fattahy ist aber optimistisch, dass es danach weitergeht. Sie möchte noch mehr Sprachen umsetzen, mehr Elterncafés, mehr Räume, eine sichere Finanzierung für die Mitarbeiterinnen. Den Familien des Programms wünscht sie „alle Möglichkeiten und dass sie das, was sie bekommen haben, vielleicht zurückgeben, für ein gutes Zusammenleben.“ Mit einer Stadtteilmutter an der Seite klappt es bestimmt leichter.
Um Care-Arbeit geht es auch in unserer aktuellen Printausgabe „Who cares?“. In der 12. Ausgabe des kohero Magazins geht es um die migrantische Perspektive auf Sorgearbeit. Hier kannst du sie bestellen!