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Solmaz Khorsand:"Ich habe mehrere Welten, aus denen ich schöpfen kann"

In der neuesten Ausgabe von „migrantisch gelesen“ schreibt Omid über den Fall der Berliner Mauer und Revolutionen. Passend zu letzterem gibt es ein Interview mit Solmaz Khorsand, der Autorin von „untertan – Von braven und rebellischen Lemmingen“.

Solmaz Khorsand:"Ich habe mehrere Welten, aus denen ich schöpfen kann"
Fotograf*in: Luiza Puiu

Den Fall der Berliner Mauer könnte man als eine Revolution bezeichnen, wie viele andere Revolutionen auch – geprägt und vorangetrieben von einer kleinen Minderheit, die nicht „mitläuft“, sich nicht anpasst und Widerstand leistet, selbst wenn diese Bewegungen scheitern. Mit genau diesem Thema setzt sich Solmaz Khorsand, die iranischstämmige Wienerin, in ihrem neuen Buch „untertan – Von braven und rebellischen Lemmingen“ auseinander.

Khorsand hat als Journalistin über eine Vielzahl von Themen berichtet: von der österreichischen Innenpolitik über gesellschaftliche Entwicklungen in Belarus bis hin zu Wahlen im Iran. Sie ist eine scharfsinnige Beobachterin, die ihre Eindrücke in prägnante Analysen verwandelt und uns, die Gesellschaft, genau dort trifft, wo es schmerzt. Ich habe mit ihr nicht nur über ihr neues Buch, sondern auch über ihr Schreiben gesprochen.

In „untertan“ sprichst du über subtile Mechanismen der Selbstzensur und gesellschaftliche Machtstrukturen. Wie stark beeinflussen diese Mechanismen Menschen mit Migrationsgeschichte, die sich oft in der Position des „Dazwischen“ befinden?

Ich tue mir schwer mit verabsolutierenden Aussagen. Ich denke nicht, dass alle Menschen mit Migrationsgeschichte von denselben Mechanismen beeinflusst werden, genauso wenig bezweifle ich, dass sie sich alle in einem „Dazwischen“ empfinden. Mir war es wichtig, in „untertan“ unterschiedliche Anpassungs-und Unterwerfungsformen anzusehen. Daher auch die Unterscheidung im Untertitel von „braven“ und „rebellischen“ Lemmingen. Auch Anpassung kann als Ermächtigungs- und Emanzipationsakt interpretiert werden.

Ich denke, dass marginalisierte Personen, die nie sicheren Boden unter den Füßen hatten und ständig gezwungen sind, sich ohne Rücksicht auf ihre Realitäten anzupassen, unter ganz anderen Bedingungen zur Anpassung gedrängt werden (und sich oft dagegen wehren), als jene, die die Sicherheit eines stabilen Status Quos kennen und bei der Anpassung auf viel Verständnis stoßen.

Inwieweit prägt deine Biografie dein Denken und dein Schreiben?

Weder in „Pathos“ noch in „untertan“ spielen meine persönlichen Erlebnisse eine Rolle. Mein „Ich“ kommt, soweit ich mich erinnere, nur in den Danksagungen vor. Es sind beides essayistische Bücher, die menschliche Phänomen mit Zuhilfenahme aktueller oder weniger aktueller politischer, kulturwissenschaftlicher und popkultureller Beispiele beschreiben, analysieren und kommentieren. Darauf lege ich Wert, da es sich um keine biografische Nabelschau handelt. Ja, mein Denken ist natürlich biografisch, wodurch die Auswahl von Themen, Gesprächspartnern, Beispielen etc. beeinflusst wird, aber das ist auch schon alles an Biografischen, so wie bei jedem anderen Menschen.

Als Journalistin mit iranischen Wurzeln und Autorin auf Deutsch und möglicherweise auch anderen Sprachen: Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit in deinem Alltag und in deiner schriftstellerischen Arbeit?

Ich fühle mich aufgrund meiner Mehrsprachigkeit privilegiert. Daher musste ich seit meiner Kindheit immer darüber lachen, wenn das irgendwo irgendwer versucht hat zu problematisieren. Ich habe dann meistens voller Mitleid gekontert: Wirklich nur eine Sprache, das muss schon schlimm sein für dich, oder? Du hast nur diese eine Welt, ich habe noch so viel mehr, aus der ich schöpfen kann. So halte ich es bis heute, obgleich vielleicht etwas sensibler gegenüber den sprachlich weniger Privilegierten.

Wie siehst du deine eigene Identität, und wie hat sie sich über die Jahre hinweg entwickelt?

Mir ist schon klar, dass sehr viel am Büchermarkt erscheint, das ohne das Ich nicht auskommt, auskommen kann oder will, aber ich lehne es – bislang – für meine Arbeit sehr bewusst ab. Diese Besessenheit mit den eigenen Identitäten und diese Selbstbezogenheit, die wir uns alle bis zum Erbrechen antrainiert haben und worauf sich einige reduzieren, reduziert werden, oder selbst absichtlich reduzieren lassen wollen, langweilt mich und ich lehne es für mich ab.

Was bedeutet Schreiben für dich – ist es eher eine Form von Selbstermächtigung, ein Mittel zur Auseinandersetzung mit deiner Umwelt oder ein Weg, andere zu inspirieren?

Es ist die Art, wie ich mein Denken sortiere, mich zum Denken zwinge und schnöderweise einfach, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene – oder noch verdienen darf.

Könntest du zwei oder drei literarische oder non-fiction Werke nennen, die dein Schreiben und deinen Werdegang als Autorin und Journalistin geprägt haben?

Ich hatte immer sehr viel Respekt vor Autorinnen und Schriftstellern, ehrlicherweise zu viel Respekt, dass ich das je bewusst als Werdegang angepeilt hätte. Mit Journalismus war das anders. Das war mit 15 eine bewusste Entscheidung, um politische Verhältnisse zu verstehen, einzuordnen und großkotzig zu kommentieren.

Aber ja, es sind vermutlich diverse Werke bis heute hängen geblieben, Albert Camus‘ Theaterstücke „das Missverständnis“ oder seine „Gerechten“, genauso Eugene Ionescos „Die Nashörner“, die mich immer begleiten werden und die auch in „untertan“ vorkommen. Und später die Bücher von Ruth Klüger, ihr „weiter leben“, Michela Murgias „Chiru“ und die Werke von Virginie Despentes, allesamt Autor*innen, die ich bewundere für ihre präzise und unsentimentale Sprache, die ein sehr klares und (für mich) unkorrumpierbares Denken widerspiegelt. Das imponiert mir sehr.

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