Für die Diskriminierung von Sintizze und Romnja fehlt im deutschen Diskurs größtenteils noch das Verständnis. Erst 2021 saßen namhafte Personen der deutschen Medienlandschaft in der WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“ zusammen und kamen zu dem Übereinkommen, dass es weiterhin angebracht wäre, das Wort „Z-Sauce“ im Sprachgebrauch beizubehalten. Von den ca. 120.000 in Deutschland lebenden Sintizze und Romnja ist dazu keine*r befragt worden.
Doch wer sind eigentlich Sintizze und Romnja? Eine allgemeine Definition gibt es nicht, weil es sich um eine sehr heterogene Bevölkerungsgruppe handelt. Neben der Landessprache spricht ein Großteil der Sintizze und Romnja auch Romani bzw. Romanes, das mit den indischen Sprachen verwandt ist. Eine einzelne männliche Person wird als Sinto bzw. Rom und eine weibliche als Sintizza (oder auch Sintezza) bzw. Romni bezeichnet.
Sintizze und Romnja sind neben der dänischen Minderheit, der friesischen Volksgruppe und dem sorbischen Volk eine von vier anerkannten Minderheiten in Deutschland und leben über das gesamte Bundesgebiet verteilt. In Europa sind sie laut Bundeszentrale für politische Bildung mit mehr als 10 Millionen Angehörigen die größte ethnische Minderheit. Die Ursprünge der Sintizze und Romnja liegen in Indien bzw. Ost- und Südosteuropa, sie leben jedoch bereits seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland. Als Sintizze wird eine Untergruppe der Romnja bezeichnet, die vor allem in Deutschland lebt.
Diskriminierung und Rassismus gegen Sintizze und Romnja sowie gegen weitere Personen, die von der Gesellschaft als sogenannte „Z*“ stigmatisiert werden, nennt man Antiziganismus, Antiromaismus oder Antisintiismus. Am bekanntesten ist der Begriff Antiziganismus, der sich jedoch am rassistisch konnotierten Begriff „Z*“ anlehnt und deshalb von der Mehrheit der Sintizze und Romnja abgelehnt wird. Gelegentlich wird auch der Begriff Gadjé-Rassismus verwendet. Auf Romanes sind „Gadjé“ die Menschen, die keine Sintizze und Romnja sind, also diejenige, von denen die Diskriminierung ausgeht. Antiromaismus ist nicht nur weit verbreitet, sondern auch tief in sozialen und kulturellen Normen und institutionellen Praktiken in Deutschland und in Europa verwurzelt.
Sinti*zze und Rom*nja im Nationalsozialismus
Während der Zeit des Nationalsozialismus sind Sinti*zze und Rom*nja systematisch verfolgt, zwangssterilisiert, gefoltert und ermordet worden. Um den Völkermord an Sinti*zze und Rom*nja zu bezeichnen, wird oft von „Roma-Holocaust“ gesprochen, auf Romanes haben sich hingegen die Begriffe „Porajmos“, was so viel wie „Verschlingen“ bedeutet, oder „Samudaripen“ etabliert, was für „alles vernichten“ steht, die jedoch teils umstritten sind.
Die Nationalsozialistinnen haben Sintizze und Romnja als sogenannte „Asoziale“ verfolgt und in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern inhaftiert. Teilweise ist ihnen das Wort „Z“ auf die Unterarme tätowiert worden. Insgesamt sind Schätzungen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zufolge in Europa ca. 500.000 Sintizze und Romnja durch die Nationalsozialistinnen ermordet worden. 1943 haben die Nationalsozialistinnen ca. 20.000 Sintizze und Romnja nach Auschwitz-Birkenau in Lagerabschnitt B II e, das sogenannte „Z*-Lager“, deportiert. Die meisten von ihnen sind dort an Hunger, Krankheiten und Misshandlungen gestorben. Vom 2. auf den 3. August 1944 sind die letzten 4.300 Überlebenden in den Gaskammern ermordet worden.
Doch die Aufarbeitung des Völkermords passiert nur schleppend: Erst 1982 sind die nationalsozialistischen Verbrechen an den europäischen Sintizze und Romnja von Deutschland als Völkermord anerkannt worden. 2015 wurde der 2. August vom Europäischen Parlament als Europäischer Holocaustgedenktag für Sintizze und Romnja eingeführt.
Migration von Sinti*zze und Rom*nja nach 1945
Gerda Pohl, eine Überlebende des Holocaust, erinnert sich anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages: „Ich möchte hier an dieser Stelle aber ebenfalls daran erinnern, dass wir Sinti auch noch nach dem Krieg viele Demütigungen erleiden mussten.“ Nach 1945 sind Sinti*zze und Rom*nja vor allem als jugoslawische Gastarbeiter*innen nach Deutschland gekommen, um beim Wiederaufbau des Landes zu helfen.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens und zum Ende des Kosovokriegs sind viele Sintizze und Romnja in den 1990er Jahren nach Deutschland und in andere westeuropäische Länder geflohen. 1992 haben sich die rassistischen Ausschreitungen in Rostock Lichtenhagen nicht nur wie allgemein bekannt gegen vietnamesische Asylsuchende, sondern auch gegen aus Rumänien geflohene Rom*nja gerichtet.
Kurz darauf hat Deutschland mit Rumänien ein „Rückführungsabkommen“ abgeschlossen, das die Abschiebung ausreisepflichtiger Personen in ihr Herkunftsland erzwingt. Anschließend ist 1993 im Grundgesetz der „Asylkompromiss“ festgehalten worden, der besagt, dass niemand mehr in Deutschland Asyl beantragen darf, wer sich zuvor in einem „sicheren Drittstaat“ aufgehalten hat.
Die Liste der sicheren Herkunftsländer ist seitdem stetig erweitert worden: neben den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gelten inzwischen die Westbalkanstaaten (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien) sowie Georgien, Ghana, die Republik Moldau und Senegal als sichere Herkunftsstaaten.
In den 2000er Jahren sind Sintizze und Romnja in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen vermehrt aus den Westbalkanstaaten nach Deutschland migriert, woraufhin gehäuft Sammelabschiebungen in vermeintliche Herkunftsländer stattgefunden haben. Durch Abschiebungen sind viele Sintizze und Romnja staatenlos, weil sie bis heute keine Papiere der Nachfolgestaaten erhalten haben.
Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja heute
Auch heute noch werden Sinti*zze und Rom*nja rassistisch diskriminiert, was sich in unterschiedlichen Formen zeigen kann. So haben sie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt oft erschwerte Bedingungen und sind auch im Alltag Diskriminierungen in Form von verbaler oder körperlicher Gewalt ausgesetzt. 2020 ist die Romni Mercedes Kierpacz beim rassistisch motivierten Anschlag in Hanau ermordet worden.
Erzählungen von sogenannten „kriminellen Clans“ oder die falsche Annahme, dass Sintizze und Romnja ohne festen Wohnsitz wären (tatsächlich trifft dies nur auf ca. 2 % zu), reproduzieren rassistische Stereotype. Gerda Pohl findet dafür mahnende Worte: „[…] wir müssen vorsichtig sein, dass es nicht wieder losgeht. Die Wahlerfolge der rechten Parteien in vielen Ländern Europas, das massive Auftreten von gewalttätigen Rechtsradikalen und die Hetze der AfD bereiten mir Angst. […]“
Erst seit 2017 werden antiromaistische Straftaten als politisch motivierte Kriminalität erhoben. Die Zahlen nehmen seitdem erheblich zu. Im Jahr 2023 wurden laut Mediendienst Integration 171 antiromaistische Straftaten von den Behörden registriert – ein Anstieg um rund 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ein neuer Höchststand seit Beginn der Erfassung. Auch andere Kontinuitäten bleiben bestehen: 2024 steht im Bundesministerium wieder die sogenannte „Verbesserung der Rückführung“ zur Debatte, um Abschiebungen zu erleichtern.
Um zur ursprünglichen Frage zurückzukommen: Darf man denn jetzt „Z*“ gar nicht mehr sagen? Der Rom Gianni Jovanovic, Aktivist und Co-Host von „Drag Race Germany“, betont im Panel Talk „Die beste Instanz“ – eine von Aktivistin Enissa Amani ins Leben gerufene Gegeninitiative zur WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“ auf YouTube – dass das Wort re-traumatisierend sein kann und ruft zur Selbstreflexion auf: „Wir brauchen diesen Weg der Progression in uns selbst, damit wir einfach eine tolle Gemeinschaft kreieren können.“