Die Lektüre dieses kleinen Romans aus Palästina der Autorin Sahar Khalifa ist bedrückend, erdrückend und spiegelt sowohl die unterdrückende Gesellschaft als auch die Perspektive einer unterdrückten Frau wider.
Er zeigt eine zersetzende Gewalt, die sich von „draußen“ nach drinnen, in die Psyche, in das Selbstbild einer Frau, verlagert. Handlungsort ist hier der „Nahe Osten“, aber man möge nicht in die Falle tapsen, dass es nicht anderswo ähnliche Mechanismen gibt und diese auch bei uns im Westen sehr wirkungsmächtig waren und etwas anders gelagert auch noch sind. Vielleicht anders verpackt, subtiler, nicht so „ehrenvoll“.
Sahar Khalifa, selbst Palästinenserin, mit Studienabschlüssen in den USA, ist der Schritt in die Freiheit gelungen. Sie lässt die Protagonistin Afaf in der Ich-Form von ihrem Leben, ihren jugendlichen Träumen und der Realität erzählen. Es ist ein Psychogramm einer Frau, die sich aus einer Ehe mit einem ungeliebten Mann lösen will, ganz besonders, nachdem sie ihre Jugendliebe wieder getroffen hat. Der wie sie nicht glücklich verheiratet ist, aber die Situation anders, männlich eben, bewertet.
Ausbruch ins Leben
Der Wunsch nach einem eigenen Leben wird immer wieder selbstgrüblerisch gestört durch die Frage: Womit könnte ich mein Geld verdienen, ohne Beruf? Das Verbleiben in der Komfortzone lockt. Aber Afaf will nicht mehr nur Zaungast des Lebens sein, sondern leben, über den Tellerrand ihrer kleinen Welt schauen. Sich im Spiegel selbst erkennen.
Immer wieder wird ihr gepredigt: sei realistisch. Pass dich an, arrangiere dich, füge dich.
Aber Afaf ist eine Frau, der die gesicherte Abhängigkeit, die weiblichen Kaffeeklatschrunden, in denen es nur Themen gibt wie Ehe, Scheidung, Skandal, Geburt, Unfruchtbarkeit, Männer, nicht ausreichen.
In diesem Auf und Ab der Stimmungen und Hoffnungen spielen hintergründig gesellschaftliche und auch politische Elemente mit. Afaf will sich nicht mehr vom Leid ihres Landes und seiner Menschen berühren lassen, ihr eigenes Leid ist ihr genug. Sie will die Gitterstäbe ihres Gefängnisses aufbrechen, die äußeren und die inneren. Gelingt ihr der Ausbruch, der Aufbruch?
Immer wieder kurze Reminiszenzen an den Apfel – glänzend, rot, schön – Paradiesapfel – Fruchtbarkeits-, Liebes- und Glückssymbol.
Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Sahar Khalifa: Memoiren einer unrealistischen Frau
Unionsverlag, ISBN 978-3-293-20319-8