Syrien ohne Assad. Zum ersten Mal sehe ich mein Land ohne seine Bilder. Keine Porträts, keine Banner – und ich kann es kaum fassen. Eigentlich hätten unsere Schatten hier nebeneinander fallen sollen. Gemeinsam, wie damals, als wir diese Straßen verließen: eine Familie, zusammengepresst von Angst und Hoffnung. Doch heute werfe nur ich einen Schatten auf das Pflaster unserer Vergangenheit.
Es ist ein seltsames Gefühl: Ich darf zurückkehren, weil mein Pass es erlaubt. Meine Eltern und Geschwister, die mit mir dieselbe Flucht über das Meer trugen, dieselben Nächte in fremden Betten lagen und litten, bleiben ausgeschlossen.
Ankunft in einer zerrissenen Heimat
Der Wind trägt noch immer den Duft der Jasminblüten durch die Straßen von Damaskus. Doch zwischen den vertrauten Gerüchen und Stimmen liegen Jahre der Zerstörung. Die Mauern meiner Kindheit stehen noch. Manche sind inzwischen gezeichnet von Einschusslöchern, andere längst zu Schutt zerfallen. Jeder Schritt durch diese Stadt ist ein Gang durch die Zeit: Hier lachte ich als Kind, dort flüchteten wir vor den Sirenen. Heute kehre ich nicht als Geflüchtete zurück, sondern als Journalistin. Mit jedem Besuch dokumentiere ich, was geblieben ist und was unwiederbringlich verloren ging.
2015 war ich siebzehn, als wir Syrien verlassen mussten. Nicht aus Abenteuerlust, sondern weil mein Vater, der Verwundete versorgte, vom Regime als „Bedrohung“ eingestuft wurde. Er wurde verhaftet. Nicht, weil er gegen das Gesetz verstoßen hatte, sondern weil er half. Seine Freilassung kostete uns alles und zwang uns zur Flucht. Über das Mittelmeer, durch Wälder, mit Zügen und Lastwagen erreichten wir Deutschland. Ich, meine Brüder und meine kleinen Schwestern kamen an, aber ließen ein ganzes Leben zurück.
Mein Vater kämpfte sich im Exil neu hoch. Für ihn war der Verlust doppelt schwer: die Heimat, der Beruf, die Würde. Doch er gab nicht auf. Heute bin ich es, die seine Geschichte weiterträgt und die derer, die blieben.
Ein unvergängliches Echo der Freiheit
Ich stehe auf dem Umayyaden-Platz, im Herzen von Damaskus. Alles wirkt geschäftig, als wäre nichts geschehen. Doch in mir tobt ein Sturm der Erinnerung. Ich denke zurück an Daraa al-Balad, an den Anfang. An die ersten friedlichen Demonstrationen, an Stimmen, die nach Würde riefen, nicht nach Rache. Und ich denke an Hamza al-Khatib, das Kind, das zu einem Symbol wurde. 2011 protestierte der 13-jährige syrische Junge, wurde festgenommen und in Gewahrsam gefoltert und getötet. Hamza ist nicht nur ein Symbol für das Verbrechen, das gegen das syrische Volk vom Assad-Regime begangen wurde, sondern auch für Mut, Würde und Stärke. Er ging auf eine friedliche Demonstration für Gerechtigkeit in Daraa, während im ganzen Land schon eine große Angst ausgebrochen war.
2011 war ich zwölf, als die Revolution begann. Plötzlich war da ein Wort, lauter als Gewehrfeuer: Freiheit!
Vor meiner alten Schule ist das Gelb verblasst. Die Mauern tragen Risse, Einschusslöcher sind stumme Zeugen der Vergangenheit. Doch in mir ist alles lebendig. Ich schließe die Augen und höre sie wieder: Das rhythmische Klatschen der Proteste, das Beben meiner Stimme, als ich zum ersten Mal Hurriyah! rief, das Echo hunderter Schritte, die für einen Traum aufbrachen, der damals unmöglich schien.
In den Ritzen des Schulhofs erkenne ich ihre Gesichter: Ahmad, der Gedichte las, als wäre jedes ein Aufschrei. Layla, die Soldaten Blumen schenkte. Sie verschwanden aus den Schlagzeilen doch für uns blieben sie. “Habt ihr es gesehen?“ flüstere ich in den Wind. Assad ist nicht mehr. Eure Lieder singen wir immer noch.“
Syrien 2025: Ein Land in Trauer und Hoffnung
Die Umayyaden-Moschee ist wieder zugänglich. Auf dem Platz, wo wir einst für Freiheit demonstrierten, liegen noch immer Trümmer. Ich besuche Daraa, Homs und Idlib und besichtige dabei auch Schulen und Krankenhäuser. In Schulen sitzen bis zu 50 Kinder in einem Raum, unterrichtet von Lehrer*innen, die mit 30 Euro im Monat überleben müssen. Die Gebäude sind marode, die Lehrpläne von Assads Diktatur geprägt. Die Kinder tragen Narben – nicht nur an Händen, sondern in ihren Köpfen. In den Krankenhäusern fehlt es an allem: Medikamente, Strom, Personal. Eine Ärztin in Aleppo erzählt mir, wie sie mit veralteten Geräten Leben rettet – „weil wir keine Wahl haben“.
Doch die Menschen sind hoffnungsvoll. Das merke ich vor allem, als ich mit Müttern spreche, die ihre Kindern verloren habe. Mütter, die sagen: „Mein Sohn starb für etwas Größeres.“ Ich beobachte, wie Menschen in Ruinen Gärten anlegen und Steine wegräumen, um neue Straßen zu errichten. Es ist nicht nur ein Wiederaufbau, sondern auch ein Widerstand.
Meine Reise endet in Deutschland. Aber die Fragen bleiben: Wann wird Syrien wieder stehen? Wann kehrt das Leben zurück? Diese Rückkehr war nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch ein Blick in die Zukunft. Und so wie Syrien mit all seinen Wunden weiterlebt, so trägt auch mein Herz ein Stück dieses Landes – unaufhörlich, widerstandsfähig und voller Hoffnung.