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roots & reels #10: Sieger Sein

In der zehnten Ausgabe von roots&reels schreibt Schayan über "Sieger Sein", den neuen Film von Soleen Yusef. Im Interview erzählt die Regisseurin, warum sie schon immer einen Kinderfilm machen wollte.

roots & reels #10: Sieger Sein

10 Ausgaben! Wow, was für ein Jubiläum. Wer hätte das gedacht vor ein paar Monaten, als ich angefangen habe, diesen Newsletter zu schreiben. Danke an jeden einzelnen von euch, vor allem an jene, die alle 10 Ausgaben gelesen und mir immer treu geblieben sind. Okay, es reicht …

Zuallererst wünsche ich allen, denen es etwas bedeutet und die es diese Woche feiern oder gefeiert haben, ein herzliches Eid Mubarak! Das sogenannte „Zuckerfest“ diese Woche am Ende des Fastenmonats Ramadan bedeutet für mich in erster Linie, eine schöne Zeit mit der Familie zu verbringen. Und weil im Hause Riaz im Moment 3823 Kinder rumlaufen und bestimmen, was gemeinsam geschaut werden soll (Kung Fu Panda 3 …), ist es für mich irgendwie auch Zeit für Kinderfilme.

Aber wenn mir das alles too much wird, mit den Animationen von Pixar und Dreamworks, dann werde ich einfach ins Kino gehen, für den fantastischen Kinderfilm „Sieger Sein“ von Soleen Yusef. Dabei ist „Sieger Sein“  mehr als „nur“ ein Kinderfilm. Die deutsch-kurdische Regisseurin erzählt in ihrem zweiten Spielfilm nach „Haus ohne Dach“ eine Story über Flucht und Migration, über Kriegstrauma und Zusammenhalt, über Schule und Perspektiven. Und Fußball!

Mona (gespielt von Dileyla Agirman) muss mit ihrer Familie aus Syrien flüchten und landet in einer Grundschule in Berlin-Wedding. Sie spricht kaum Deutsch und wird als Außenseiterin von ihren Mitschülerinnen nicht auf Anhieb akzeptiert. Bis Herr Che (Andreas Döhler) auf ihre Skills auf dem Fußballfeld aufmerksam wird und sie ins Team befördert. Kann mit Mona etwas aus dieser chaotischen Mannschaft werden, kann sie einen Pokal für die Weddinger Schule holen?

Das sehr persönliche und in Teilen autobiografische Drehbuch von Soleen Yusef hat viel Charme und noch viel mehr Herz. Der Film schafft es auf authentische Art und Weise, Humor und Trauer zu verbinden, was wirklich nicht jedem Film gelingt – geschweige einem im Genre des deutschen Kinderfilms. Meine Highlights waren die Szenen mit Monas Mutter und ihren Brüdern am Esstisch und auch die Fußballspiele selbst in der zweiten Hälfte können sich sehen lassen. Für Soleen Yusef ist „Sieger Sein“ eine „Hommage an meinen Lehrer, meine Eltern, meine Geschwister und meine Mädchenfußballmannschaft“. Schau dir den Film unbedingt an, mit deinen Kindern, deinen Eltern, alleine. Und lies auch mein Interview mit der Regisseurin weiter unten.

Im Spotlight: Soleen Yusef

Im Interview spricht die Regisseurin von „Sieger Sein“ über die autobiografischen Einflüsse ihrer Fluchtgeschichte auf den Film und wie sie große politischen Themen und Herausforderungen für Kinder erzählt.

Liebe Soleen, dein neuer Film „Sieger Sein“ hatte Weltpremiere auf der Berlinale. Was war dein Highlight, ist dir eine Begegnung oder etwas anderes besonders in Erinnerung geblieben?

Die Weltpremiere auf der Berlinale war sehr überwältigend. Nicht nur, weil wir der Eröffnungsfilm der Sektion „Generation“waren und ein großes Spotlight auf den Film und die Geschichte fiel, sondern aufgrund der vielen positiven Publikumsreaktionen. Ob groß oder klein, jung oder alt, bio-deutsch oder migrantisch, filmaffin oder gar nicht, der Film lässt niemanden kalt und hat eine emotionale, unterhaltende, aber auch politische Kraft in seiner Direktheit, Authentizität und Hoffnung, getragen auch durch einen großartigen Cast und ein Kreativteam, das „Sieger Sein“ viel Seele und Herz geschenkt hat.

Warum eigentlich ein Kinderfilm?

Ich wollte schon immer einen etwas anderen Kinderfilm machen, mit Lebenswelten, die es so noch nicht auf deutscher Kinoleinwand gab. Hier spreche ich nicht nur über Migrationshintergründe, sondern von allen Kids, die in ökonomisch, sozial und kulturell anderen Lebensrealitäten stattfinden müssen. Ihre Geschichten sind genauso heldenhaft und erzählenswert. Sie können genauso als Figuren inspirieren und Hoffnung schenken.  Das gespiegelt zu bekommen durch lachende, weinende und staunende Kinderaugen, die sich endlich in lebensnahen Heldensehen dürfen, war das Größte. Vielleicht mache ich nur noch Kinder- und Jugendfilme. So viel Ehrlichkeit und echte Emotionalität begegnet einem nämlich selten in dem Business.

In dem Film geht es um das Ankommen in Deutschland und was das alles mit sich bringt. Wie viel steckt von deinem eigenen Leben in dem Film?

„Sieger Sein“ ist sehr persönlich und eine Hommage an meinen Lehrer, meine Eltern, meine Geschwister und meine Mädchenfußballmannschaft. Viele der Begebenheiten sind echt und haben zu einem Großteil so stattgefunden. Ich habe es natürlich fiktionalisiert, überhöht und künstlerisch für Kinderherzen und -köpfe übersetzt. Der Kern der Geschichte hat jedoch gelebte und gespeicherte Erfahrungen, Bilder, Emotionen und Begegnungen. So auch die zwischen Mona (Dileyla Agirman) und Herrn Che (Andreas Döhler), die lebensverändernd wird und einen großen, positiven Einfluss auf ihren weiteren Lebensverlauf hat.

Lehrkräfte können Kinder hoch- oder runterziehen. Natürlich gibt es schlechte und rassistische und ungeduldige Menschen in jedem Berufszweig. Ich hatte irgendwie großes Glück, immer auf Lehrkräfte zu treffen, die mich sahen und hörten. Vielleicht hatte ich aber auch sehr viel Respekt vor Lehrer und Lehrerinnen, weil ich die Schule im Irak, heute die autonome Region Kurdistan, ganz anders kannte. Mit Fahnenappell und Uniformen, Fingernägel zeigen und wenn die nicht sauber waren, dann gab's den Stock auf die Hand. Deutsche Schulen waren ein Kulturschock dagegen. Mit Lehrern auf Augenhöhe? Laut oder respektlos antworten? Per ‚Du‘ auch noch? No way!

Wie war denn dann das Verhältnis zwischen dem jungen Cast des Films und dir als Regisseurin? War es von Anfang an ein vertrautes Miteinander?

Es ist ein Segen und Fluch zugleich gewesen. Die Kinder waren extrem engagiert, talentiert, berührend, klug, aufgeschlossen und mehr als der Film und die Geschichte sich wünschen können. Die Realität ist aber die, dass man nur fünf Stunden mit ihnen am Set stehen und davon lediglich drei Stunden mit Drehen verbringen darf.

Rechtlich und zum Schutz der Kids ist diese Regelung ja auch genau richtig, die Konzentration und Kraft ist sowieso schneller hin, als man gucken kann. Dennoch stellt es die Produktion und damit die finanzielle Machbarkeit vor große Herausforderungen. Einfach gesagt brauchen Kinderfilme mehr Drehtage und mehr Drehtage bedeutet ein größeres Budget. Die Mitarbeit und das Miteinander waren aber wirklich pures Glück.

Wie schafft man es, politische Themen wie zum Beispiel den kurdischen Befreiungskampf in einen Kinderfilm zu verpacken, damit die Message klar ist, aber es weiterhin eine Balance zwischen der Leichtigkeit und der Seriosität gibt?

Die größeren politischen Themen, Traumata und Kriege waren ja Teil meiner Kindheit und ich habe nicht verstanden, warum es okay ist, wenn ein Kind das durchleben muss, aber nicht okay ist, das in einem Film, einem Buch oder Ähnlichem zu sehen? Wie absurd ist das bitte? Dann habe ich aber über meine Nichten und Neffen nachgedacht und wollte sie nicht durch einen Film traumatisieren, nur weil ich das als Kind durchmachen musste. Schließlich sind meine Eltern geflüchtet, damit die nächste Generation in Frieden und Freiheit leben kann.

Gleichzeitig ist die politisch-faschistische Entwicklung hierzulande, aber auch in ganz Europa und den USA, erschreckend und betrifft die Zukunft. Daher sehe ich mich in der Verantwortung, den Kindern stets auf Augenhöhe und mit Wahrhaftigkeit zu begegnen, um ihnen das Gefühl von Verständnis und die Sichtbarkeit ihrer inneren und äußeren Konflikte zu spiegeln. Die Balance zwischen Leichtigkeit und Seriosität erreicht man durch Ernsthaftigkeit, die es mit Humor zu brechen gilt.

Vor allem müssen andere, übersetzte Bilder und Sprachwelten entdeckt und geschrieben werden, die dazu einladen, einzutauchen und nicht vor den Kopf gestoßen zu werden. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt und es gibt immer irgendwo ein Licht. Davon will ich erzählen; kurz bevor die Sonne aufgeht, ist die Nacht am dunkelsten.

Welche Mannschaft supportest du eigentlich selbst beim Fußball?

Immer die Underdogs. Die ohne viel Kohle. Ohne teure Player oder namhafte Trainer. Die sich trotz vieler Widrigkeiten nach oben kämpfen.

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