Die Einstellung der Ermittlungen gegen die Polizisten, die im März dieses Jahres den 46-jährigen Gambier Lamin Touray erschossen haben, verdeutlicht erneut, wie tief verwurzelt das Problem der rassistischen Polizeigewalt in Deutschland ist.
Am Ostersamstag dieses Jahres wurden vierzehn Beamte wegen eines Streits gerufen und trafen auf Touray, der sich laut Berichten in einer psychischen Ausnahmesituation befand. Trotz der prekären Lage griffen die Polizisten zu tödlicher Gewalt. Laut Polizei soll Touray ein Messer bei sich getragen haben, jedoch sind die genauen Umstände der Eskalation weiterhin umstritten. Auf einem aufgenommenen Video des Einsatzes sind die tödlichen Schüsse zu sehen, was die Fragen nach der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit des Einsatzes noch drängender macht.
Gegenüber der NOZ äußerten Anwohnerinnen und Augenzeugen deutliche Kritik am Vorgehen der Polizei. Viele hinterfragen, warum der Einsatz so eskalieren musste, besonders da ihnen bewusst war, dass Lamin Touray sich in einer psychischen Ausnahmesituation befand. Die Anwohnerinnen betonen, dass Touray bereits seit Jahren in der Nachbarschaft lebte und als friedlich bekannt war. Einige Stimmen äußerten, dass die Polizei unverhältnismäßig schnell zur Waffe gegriffen habe, anstatt alternative Mittel einzusetzen, um die Lage zu beruhigen.
Eine lange Liste "tragischer" Fälle
Der Tod Tourays ist längst kein Einzelfall. Der Schock, die Trauer und die Wut, die nach seinem Tod die Gemeinschaften erfassten, fügen sich in eine lange Liste „tragischer“ Fälle ein. Doch das System bleibt taub – taub gegenüber dem Schmerz und dem Leiden marginalisierter Bevölkerungsgruppen, die von der Polizei nicht geschützt, sondern bedroht werden. Deutschland verweigert sich weiterhin, das Problem der strukturellen rassistischen Gewalt in den eigenen Institutionen konsequent anzugehen und anzukämpfen.
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen gegen die beteiligten Polizist*innen einzustellen, erinnert an eine gefährliche Normalität. Eine Normalität, in der Schwarze Menschen in diesem Land kontinuierlich als „Gefährder“ und „Bedrohung“ wahrgenommen und behandelt werden – eine Wahrnehmung, die tief in Rassismen und Vorurteilen verwurzelt ist. Lamin Touray war in diesem Jahr nicht das erste Opfer rassistischer Polizeigewalt, und er wird nicht der letzte gewesen sein. Die Liste wächst, und mit jedem neuen Namen wächst auch die Frustration in den Gemeinschaften, die Tag für Tag um ihre Rechte, ihre Würde und ihr Leben kämpfen.
Bereits im Fall von Amin Farah, der vor zwei Jahren durch einen von Polizisten ausgeübten Kopfschuss in Frankfurt starb, zog sich das Verfahren über lange Zeit hin, ohne dass jemals echte Rechenschaft erreicht werden konnte. Sein Bruder legte Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens ein und forderte Gerechtigkeit ein. Doch wie so oft steht das System auf der Seite der Täter, nicht der Opfer.
Es ist bezeichnend, dass auch im Fall des 16-jährigen Mouhamed Dramé, der ebenfalls 2022 von der Polizei erschossen wurde, das Verfahren immer noch läuft. Der Polizist entschuldigte sich. Doch keine Entschuldigung kann ein Leben zurückbringen oder den strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei beseitigen.
Rassistische Gewalt als System
Es geht nicht um einzelne „Fehltritte“ von Beamt*innen, sondern um eine tiefgreifende und systematische Verankerung von Rassismus in deutschen Institutionen. Dieser Rassismus manifestiert sich nicht nur in der Polizeigewalt, sondern in der gesamten Gesellschaft und Politik, die diese Gewalt dulden und rechtfertigen. Der Mord an Lamin Touray ist kein isolierter Vorfall – er ist Teil eines Systems, das Menschen wie ihn als Bedrohung ansieht, statt als schützenswerte Individuen. Und dieses System wird erst dann eine Veränderung erfahren, wenn Deutschland bereit ist, die Augen zu öffnen und Verantwortung zu übernehmen.
Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis Deutschland sich der rassistischen Gewalt in seinen Polizeikräften stellt? Die Antwort bleibt erschreckend offen. Während Deutschland gerne Empörung über Polizeigewalt in den USA äußert, scheint es blind gegenüber der Brutalität vor der eigenen Haustür. Es ist leichter, Missstände in anderen Ländern anzuprangern, als sich der hässlichen Realität im eigenen Land zu stellen. Doch es gibt keinen Unterschied zwischen den Familien, die in den USA um George Floyd trauern, und denjenigen in Deutschland, die Lamin Touray, Amin Farah oder Mouhamed Dramé verloren haben. Ihr Schmerz ist derselbe, und ihre Stimmen dürfen nicht länger ignoriert werden.
Kollektive Solidarität mit Betroffenen
Die Betroffenen rassistischer (Polizei-)Gewalt werden nicht aufhören, für ihre Rechte zu kämpfen. Sie werden nicht aufhören, die strukturellen Missstände anzuprangern, die sie tagtäglich unterdrücken. Doch sie dürfen in diesem Kampf nicht allein gelassen werden. Deutschland muss als Ganzes aufwachen und erkennen, dass es seine eigenen Strukturen des Rassismus und der Unterdrückung durchbrechen muss. Es braucht die Solidarität aller Menschen, die bereit sind, für eine gerechtere und gleichberechtigtere Gesellschaft einzustehen.
Die Zeit für oberflächliche Solidaritätsbekundungen ist vorbei. Was es braucht, ist kollektives Handeln, kollektiver Widerstand und die klare Botschaft, dass Menschenleben nicht länger dem rassistischen System geopfert werden dürfen. Wir sind mehr als bloße Zahlen, mehr als Schlagzeilen in den Nachrichten. Unsere Leben zählen, und wir haben das gleiche Recht auf Schutz, Würde und Leben wie jede*r andere in diesem Land.