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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

„Queeres Erzählen birgt für mich etwas Widerständiges”

Für seinen Newsletter „migrantisch gelesen“ hat Omid mit Hengameh Yaghoobifahra ein Interview geführt. Es geht um Yaghoobifahras neues Buch „Schwindel“: im Mittelpunkt steht hier vor allem die queere Identität.

„Queeres Erzählen birgt für mich etwas Widerständiges”
Fotograf*in: Lior Neumeister

Stell dir vor: Alle drei Personen, die du gleichzeitig datest, stehen plötzlich gemeinsam vor deiner Tür. Und noch extremer: Alle drei verbringen stundenlang mit dir zusammen in einem Raum und müssen miteinander klarkommen. Eine Situation, die wohl kaum überwältigender sein könnte. Genau das ist der Ausgangspunkt des neuen Romans von Hengameh Yaghoobifarah.

Ich habe mit Hengameh über queere Literatur im deutschsprachigen Raum, Rassismus und die persönliche Schreiberfahrung gesprochen.

In deinem neuesten Werk „Schwindel“ verknüpfst du die Themen Queerness, Identität und das Aufwachsen als Migrant*in. Wie ist diese Geschichte entstanden und was hat dich dazu inspiriert, sie zu erzählen?

Am Anfang stand die Idee eines Kammerspiels über eine etwas chaotisch geführte Poly-Konstellation auf dem Dach eines Hochhauses. Ich hatte Lust, eine Geschichte mit simplem Plot zu schreiben und in der Erzählweise und -form experimenteller zu arbeiten. Dabei wollte ich zum einen einige Dinge, wie etwa queeres Begehren oder Fragestellungen danach, was es in der Gegenwart bedeutet, lesbisch zu sein, expliziter formulieren, und zum anderen die Aspekte wie einen geografischen konkreten Ort – und damit zusammenhängend die Rassifizierung der Figuren – in Leerstellen ruhen lassen. Es sollte gleichermaßen partikular und universell werden, denn die Motive des Romans sind Begehren, Gefangenschaft und Wahrheitsfindung – das betrifft alle Menschen, egal ob queer oder nicht.

Queerness ist ein wiederkehrendes Motiv in deinen Werken. Wie siehst du die Entwicklung „queerer“ Literatur in Deutschland? Ist es überhaupt richtig, von einer queeren Literatur oder einem queeren Erzählen zu sprechen?

Es gibt queere Erzähltraditionen, auch im deutschsprachigen Raum. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass es sich dabei nicht um ein festes, leicht definierbares Genre handelt, denn queere Literatur kann Sci-Fi, Krimi, Romantasy, Thriller oder Familienroman sein. Queeres Erzählen birgt für mich etwas Widerständiges, eine Verweigerung des Erwarteten, und häufig auch eine Verknüpfung von Kämpfen und Welten. Ich denke da beispielsweise an den Klassiker „Stone Butch Blues“ von Leslie Feinberg. Feinberg schrieb nicht nur darüber, was es bedeutete, in den USA der 1950er und später lesbisch, butch und queer zu sein, sondern auch von Polizeigewalt, Gewerkschaftskämpfen und Gemeinschaft.

Du bist bekannt für deine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, wie etwa in „Eure Heimat ist unser Albtraum“. Welche Rolle spielt dieser Aspekt in „Schwindel“?

In „Schwindel“ habe ich darauf verzichtet, meinen Figuren klare ethnische Merkmale zuzuschreiben, wie bestimmte Sprachen oder Herkünfte. Da der Ort der Geschichte nicht definiert ist, ist zum Beispiel gar nicht deutlich, auf welchem Kontinent wir uns überhaupt befinden. Gibt es also überhaupt eine weiße Mehrheitsgesellschaft dort? Für mich ist keine der Figuren weiß, manche haben Familiengeschichten, die eine Migration beinhalten könnten, das wird zum Beispiel deutlich, als Robin mit ihren Eltern in ein Restaurant geht und sie sich wie eine Vermittlerin von unterschiedlichem Habitus fühlt. Ich habe die Namen bewusst so gewählt, dass sie nicht auf eine spezifische Herkunft hindeuten. Während ich es in „Ministerium der Träume“ wichtig fand, die Familiengeschichte samt Flucht aus dem Iran und rechtem Terror in Deutschland so spezifisch wie möglich zu erzählen, fand ich es in „Schwindel“ befreiend, dass es kein „Buch über Rassismus“ sein musste.

Wie hat deine persönliche Biografie als Person mit Migrationsgeschichte und deine Erfahrung als nicht-binäre Autor*in deinen Schreibstil geprägt?

Diese Erfahrungen verschaffen mir Zugänge zu unterschiedlicher Sprache und Szenen, die mich dazu ermutigen, mir etwas Eigenes zu überlegen und mit Ideen herumzuspielen, statt in vorgefertigte Formen zu verharren. Ich denke viel über den Mythos des „Schutzes der deutschen Sprache“ nach, den konservative bis rechte Sprachfanatikerinnen sowohl durch gendersensible Formulierungen als auch dem Verwenden von Anglizismen oder Kanak Sprak bedroht sehen. Diese irrationalen Ängste zu triggern, nehme ich als Serviceauftrag an mich und meine Kolleginnen an.

Welche Werke haben dein Schreiben und deinen Werdegang geprägt?

Anne Carson: The Autobiography of Red; Joan Nestle: A Restricted Country; May Ayim: blues in schwarz weiss


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