Ich hoffe, du kommst gut durch den Ramadan, die Osterfeiertage waren erholsam und du kannst trotz dieser Zeit, geprägt von politischen Krisen, schlechten Nachrichten, Ängsten und Zweifeln, auf die ein oder andere Art durchatmen.
Im heutigen Text geht es um die Wurzeln des Themas, um das es in dieser Newsletter-Reihe geht: Was ist eigentlich der Ursprung der Psychologie und steht das heutige Verständnis im Einklang mit den Werten, die wir vertreten?
Die Wurzeln der Psychologie existieren seit Jahrtausenden in unterschiedlichsten Facetten. Die meisten davon sind uns nicht bekannt und werden es vermutlich nie sein. Indigene Völker, Kulturen und Praxen, die die menschliche Psyche unterschiedlich konzeptualisieren und behandeln, werden in der heutigen, sogenannten modernen Psychologie auch nur selten aufgegriffen. Stichworte, die zum Nachdenken anregen sollen, lauten: Kampf, Raub, Zerstörung, Industrialisierung, Modernisierung, Globalisierung, Kapitalisierung, Unterdrückung, Abwertung, Negierung – Kolonialität.
Denn auch die Psychologie ist nicht frei davon. Wenn wir versuchen, dekolonial zu denken und zu handeln, berücksichtigen wir dies auch in unserem Verständnis von gesund und pathologisch (= krankhaft) und hinterfragen diese Bezeichnungen? Kontexte und Systeme bestimmen oftmals unser Bild, ohne dass wir dies hinterfragen. Mittlerweile ist uns vielleicht und hoffentlich bewusst, dass wir sowohl in der Psychotherapie als auch in der Forschung und Lehre unterrepräsentiert, zu wenig beachtet und nicht selten ganz übersprungen werden.
Doch fragen wir uns als migrantische Menschen eigentlich, was psychische Gesundheit für uns bedeutet? Was kann diese ausmachen, was gilt als vermeintlich normal und was als pathologisch? Wer, wie, was gibt dieses System von Verständnis vor und stehen wir überhaupt dahinter?
Ganz plakativ werfe ich mal eine These, welche gleichzeitig ein sehr bekanntes Zitat ist, in den Raum: „Es ist kein Zeichen von geistiger Gesundheit, an eine von Grund auf kranke Gesellschaft gut angepasst zu sein.“ (Jiddu Krishnnamurti).
"Es ist ironisch, dass wir in einer Welt leben, die so sehr auf Individualismus pocht und gleichzeitig strukturelle Machtasymmetrien ignoriert"
Nicht nur in der Art, wie therapiert wird, werden wir ausgeklammert. Die moderne, standardisierte Diagnostik basiert auf Normen und Konstrukten, mit denen wir uns häufig gar nicht erst identifizieren können. In diesem Kontext wird deutlich, dass die Pathologisierung individueller Abweichungen von der Norm oft dazu dient, strukturelle und systemische Ungerechtigkeiten zu kaschieren. Die Diagnose allein fällt auf den Einzelnen zurück, während die eigentlichen Ursachen in den tief verwurzelten Ungleichheiten des Systems liegen.
Es ist ironisch, dass wir in einer Welt leben, die so sehr auf Individualismus pocht und gleichzeitig strukturelle Machtasymmetrien ignoriert. Die Psychopathologie wird somit zu einem Instrument, das dazu dient, das Versagen des Systems zu verschleiern und die Verantwortung auf diejenigen abzuwälzen, die am wenigsten dazu in der Lage sind, es zu ändern. Diejenigen, die unter dem System leiden und sich eventuell sogar dagegen auflehnen, können schnell als verrückt abgestempelt werden.
Wenn wir reflektieren, wo wir uns befinden und wie wir leben, welche Rahmenbedingungen wir teilen, auch wenn unsere Lebensrealitäten Unterschiede aufweisen, realisieren wir: Wenn die Psychologie des globalen Nordens als unser Maß gilt, inwiefern fügen wir uns, inwiefern verwehren wir uns die eigene Rechtmäßigkeit?
Gibt es konkrete Störungsbilder oder auch Behandlungsmethoden, die du hinterfragst? Bist du auch der Meinung, unsere Kulturen, die oftmals als rückständig betrachtet werden, bergen eigentlich viele Antworten, auf die wir in dem, was wir kennen, nicht stoßen?
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