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Politischer Widerstand – Solidarität oder kognitive Dissonanz?

Was bedeutet Widerstand in der Psychologie? In welchem Zusammenhang steht der Begriff zu politischem Widerstand? Diesen Fragen geht Zara in der neuen Ausgabe von „migrantische psyche“ nach.

Politischer Widerstand – Solidarität oder kognitive Dissonanz?
Fotograf*in: miro polca auf unsplash

Heute wende ich mich mit einem etwas anderen Inhalt an dich. Diesmal möchte ich neben dem Informieren und Anregen vor allem auch Appellieren – an uns alle. Wie in der letzten Ausgabe bereits angekündigt, beschäftigen wir uns heute mit Widerstand. Wie denken und leben wir ihn? Und inwiefern spielt kognitive Dissonanz eine Rolle?

Politischer Widerstand in der Psychologie

Der Begriff des Widerstands wird in der Psychologie und vor allem Psychotherapie zunächst als etwas Negatives gegenüber Erkenntnis und Fortschritt verstanden. Das Fehlen von „Widerstand“ gilt als positiv, als ein Zeichen von Offenheit und für Veränderung. Doch der psychoanalytische Begriff des Widerstands kann komplexer, mehrdeutiger und paradoxer sein, als er allgemein dargestellt wird. Was wäre, wenn die politischen Überzeugungen und Handlungen von Patient*innen klinischen und politischen Widerstand mit dem Ziel der Heilung bedeuten würden? Was, wenn der politische Widerstand eines Individuums veränderungsfördernd, therapeutisch, persönlich gewinnbringend ist?

Auch Frantz Fanon, Psychiater, dekolonialer Denker und Schriftsteller, verstand fehlenden Widerstand gegen politische, diskriminierende und einschränkende Realitäten als verdeckten und kontraproduktiven Abwehrmechanismus. Damit wurde vermieden, aktiv gegen die eigentlichen Ursachen der Konflikte vorzugehen, die uns belasten. Fanon entwickelte Ansätze, die ihn zu einem Pionier der modernen Ethnopsychiatrie machten. Er wandte sich von der institutionellen Therapie ab, da er überzeugt war, dass Therapie die Freiheit der Patientinnen wiederherstellen und im normalen kulturellen und sozialen Umfeld stattfinden sollte. Er kritisierte, dass etablierte Psychiatrie und Einrichtungen Patientinnen „amputieren, bestrafen, ablehnen, ausschließen und isolieren“.

Wenn wir als Menschen, die von Marginalisierung, Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, die für uns fehlende Unterstützung sowohl in Politik als auch Psychologie identifizieren und Widerstand leisten, wie sieht dieser aus? Häufig verstehen wir Demonstrationen, Aktivismus, Petitionen als Widerstand. Doch unsere Identitäten werden ohnehin politisiert, indem sie als Angriffsflächen instrumentalisiert werden. Viele unserer Handlungen, die wir als selbstverständlich und normal verstehen, werden angeprangert. Können wir somit unsere bloße, natürliche Existenz als widerständig empfinden? Die Authentizität und das Ausleben unserer Kulturen, die Zugehörigkeit zu unseren Religionen und das Huldigen unserer Sprachen können in sich als widerständig verstanden werden.

Auch identifizieren wir uns miteinander und solidarisieren uns mit denjenigen, die gleiche, ähnliche und noch stärkere Repression erfahren, weil wir sie verstehen und weil es richtig ist. Oder?

Solidarität vs. Kognitive Dissonanz

Während wir uns unter anderem mit dem palästinensischen Volk solidarisieren und möglichst mit den in unserer Macht stehenden Methoden Widerstand leisten, vernachlässigen wir nicht selten andere Völker, die ebenso unter kapitalistischen und imperialistischen Strukturen leiden. Dass wir sowohl physisch als auch mental nicht überall gleichzeitig sein können, ist menschlich und verständlich, doch viel zu oft und vor allem viel zu intensiv, widersprechen wir unseren eigenen Prinzipien.

Als Paradebeispiel können wir dafür das aufregende und groß bejubelte EM-Achtelfinale-Spiel der Türkei gegen Österreich betrachten. Neben der andauernden Vernichtung von Kurdinnen durch den türkischen Staat und deren Unsichtbarmachung, sahen wir lediglich kurz vor dem Fußballspiel Videos aus der Türkei, in denen Pogrome gegen syrische und afghanische Geflüchtete durchgeführt wurden. Und das alles am Gedenktag des sich zum 31. Mal jährenden Sivas-Massakers, bei dem 33 Alevitinnen durch einen Brandanschlag getötet wurden. Die Solidarität ist jedoch inmitten von Türkeiflaggen, dem Handzeichen der faschistischen Grauen Wölfe und den deutschlandweiten Autokorsos abhandengekommen.

Inwiefern sind wir aufrichtig solidarisch und im Namen der Unterdrückten widerständig, wenn wir das Eine sagen und das Andere tun? Handeln wir nicht egozentrisch, fügen wir uns nicht nur demselben System unter, das uns zu unterdrücken vermag, sondern bekräftigen dieses auch noch? Es herrscht kognitive Dissonanz. Um den Begriff zu erklären: Kognitionen sind individuelle Erkenntnisse über die Realität. Kognitive Dissonanz entsteht, wenn zwei gleichzeitig bestehende Kognitionen einer Person sich widersprechen oder ausschließen. Dieser Spannungszustand führt dazu, dass die Person versucht, die Dissonanz zu verringern oder aufzuheben, indem sie eine passende Umgebung aufsucht oder selektiv Informationen sucht, die bisherige Glaubenssätze bestätigt.

Liegt es nicht in unserer Verantwortung, als widerständige, aufrichtig solidarische Betroffene von Diskriminierung, egal in welcher Form, füreinander einzustehen und einzusehen, dass alle Kämpfe gegen Kolonialität miteinander verbunden sind? Ich denke, wir alle kennen die Antwort.

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