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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Oh, Ramadan came forth for the hearts are ill

Zara beschreibt, wie sie dieses Jahr Ramadan erlebt hat: ein Monat voll Melancholie, Besinnlichkeit und bittersüßer Freude. Über Vergänglichkeit und Zusammenhalt, Konsum und Kapitalismus.

Oh, Ramadan came forth for the hearts are ill
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Dieses Mal freute ich mich besonders auf den Ramadan, nachdem ich ihn letztes Jahr leider nicht so gut willkommen heißen konnte wie sonst. Wir alle kennen es: je näher der Ramadan an die kürzeren, kälteren Tage rückt, als desto erträglicher empfinden wir ihn in der Regel, auch wenn graue Tage häufig trübe Stimmung mit sich bringen. Wir wissen jedoch, dass nicht bloß die Natur für diese Stimmung verantwortlich ist, sondern dass menschengemachte Krisen, Kriege und Katastrophen unser Leben jeden Tag aufs Neue prägen.

Dieser Ramadan hat meinem Umfeld und mir eine spezielle Melancholie genommen und gebracht. Diese segensreiche Zeit des Verzichts, der Besinnlichkeit und Besonnenheit hat die Ambiguität unserer menschlichen und fehlbaren Existenz in ihren verschiedenen Facetten gezeigt.

"Jede Speise hatte einen bitteren Beigeschmack"

Die ersten zehn Tage sind für gewöhnlich von Enthusiasmus und Frische gefärbt. Wir achten anfangs eventuell besonders auf unsere Gebete, Ernährung und Worte, bis wir vielleicht – vielleicht aber auch und hoffentlich nicht – in alte Muster verfallen. Die mittleren zehn Tage ziehen sich in die Länge; einerseits bin ich erstaunt darüber, wie schnell die Zeit vergeht und andererseits wirkt die Ziellinie weit entfernt.

Doch auch bzw. vor allem im Ramadan sind Gottes Zeichen und Strukturen deutlich erkennbar: nach einer Durststrecke zwischendurch blicken wir erfreut, motiviert und sehnsüchtig auf die letzten zehn Tage und Nächte des heiligen Monats, in denen uns Gott besonders viel Segen, Heilung, Wunschkraft und Veränderung verspricht.

In den letzten zehn Nächten raffe ich mich immer noch einmal besonders, unabhängig davon, wie zufriedenstellend oder enttäuschend die vergangenen Tage liefen. Ich übernehme wieder mehr Verantwortung für mich selbst, ich sammle alles, was vom Wagen gefallen sein mag, wieder auf. Dieses Jahr fiel es mir schwerer, mich mit anderen zum Essen zu verabreden und die Zeit in Gemeinschaft zu verbringen. Ironisch, wenn ich in möglichst allem für die Gemeinschaft plädiere und mich nach dieser sehne.

Jede Speise hatte einen bitteren Beigeschmack, meine Gedanken kreisten: „Ich esse, während andere hungern. Ich verbringe Zeit mit meiner Mutter, während andere um ihre trauern. Ich lebe, während andere sterben.“ Ich weiß, das sind keine neuen Erkenntnisse. Armut, Verlust und Gefahr bedrohen seit jeher mindestens unsere Mitmenschen, wenn nicht auch uns selbst. Diesmal ist der Aufschrei aber noch lauter und die Ohren sind noch tauber. Gesellschaftliche, politische, institutionelle Ignoranz und Arroganz haben (gefühlt) ein neues Maximum erreicht. Wir verfolgen alles in Echtzeit, kleben an unseren Handys, während wir doch unseren Konsum eigentlich reduzieren wollen.

"Meine Rechte münden in Verantwortung und Verpflichtung"

Ich gehe meiner Pflicht des Fastens nach und schreibe mir aufgrund der omnipräsenten Umstände sowohl Aufrichtigkeit als auch Heuchelei zu. Ambiguität eben. Neben der Welt, die gefühlt, und niemals tatsächlich, auf unseren Schultern lastet, kickt der Schlafentzug, die Arbeit stapelt sich und der Optimierungsdrang beschert mir Minderwertigkeitskomplexe. Diese heilige Zeit, auf die ich mich so gefreut hatte, macht mir einen Strich durch die Rechnung – denke ich zumindest, während mir der Kapitalismus von oben herab frech ins Gesicht lacht.

Doch ich habe es gut, ich bin privilegiert, mir geht es gut. Ich habe kein Recht, zu klagen. Ich habe das Recht auf Existenz und Fortbestand. Meine Rechte münden in Verantwortung und Verpflichtung. Ich erinnere mich daran, dass wir als Musliminnen unterschiedlich veranlagt sind und unserer Fitrah nachgehen. Jeder trägt individuelle Stärken und Aufgaben mit sich. Bestenfalls repräsentiere und erledige ich meine. Ich erde mich jedes Mal aufs Neue in Gebet und Bewusstsein.

"Wir widmen unseren verstorbenen Liebsten Wasser, Blumen und Gebete"

Akhter, Eid, Bayram naht und ich freue mich auf das Gemeinschaftsgefühl, das ich mir diesen Ramadan verwehrt habe. Ich freue mich auf das Gelächter, Kindergeschrei, viele deftige und süße Speisen, auf schöne Kleider und Gespräche. Ich freue mich darauf, meine Nichten und Neffen zu beschenken und erwarte beschämt, dass auch ich noch beschenkt werde, weil ich laut meiner Schwägerin immer das Küken bleibe.

Ich freue mich darauf, dass uns das sogenannte Zuckerfest zusammenbringt und die Spaltung, das Exil, das unermüdliche Streben nach dem Existenzerhalt zumindest für den ersten Tag – wenn schon nicht für alle drei – in den Hintergrund rücken. Denn das ist doch das, was wir uns wünschen und das, was wir brauchen. Dieser natürliche Drang nach einem Miteinander ist das, was man uns nie nehmen konnte.

Es ist Mittwoch, die Sonne scheint. Es ist Akhter, Eid, Bayram und mein Morgen verläuft neben dem Vogelgezwitscher ruhig. Meine Geschwister arbeiten, meine Nichten und Neffen werden von eigentlich fremden Menschen betreut. Wir fahren zum Friedhof und begrüßen andere uns fremde Besucher*innen, die für einen Moment Vertraute sind. Wir gratulieren einander und widmen unseren verstorbenen Liebsten Wasser, Blumen und Gebete.

"Vielleicht geht es unseren Herzen nächstes Jahr besser"

Ich realisiere an diesem Tag, dass mir dieser friedvolle Ort unerwartet Gelächter, Süße, Bitterkeit, Schönheit und Tränen bringt und das Gemeinschaftsgefühl aus meiner Kindheit, an dem ich festhalte, in der Form heute vielleicht nicht kommen wird. Aber bestimmt bald. Anschließend heißt es, wie kürzlich realisiert, business as usual. Jede*r geht zunächst getrennte Wege und ich hoffe bescheiden auf einen gemeinsamen Abend. „Vielleicht wird es nächstes Jahr liebevoller und schöner, vielleicht geht es unseren Herzen nächstes Jahr besser“, überlege ich, während mir der Kapitalismus von oben herab frech ins Gesicht lacht.

Mögen die Seelen, die von uns gegangen sind, Frieden erfahren. Möge ihnen jedes Gebet, das für sie gesprochen wird, zuteilwerden. Möge jede gute Tat in ihrem Namen Früchte tragen. Mögen wir eine bessere Welt schaffen, bevor wir die nächste betreten.

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