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1 Min. Lesezeit Kultur

Ode an die Seeaalsuppe - ein Rezeptgedicht

Eine Ode ist ein Gedicht in besonders feierlichem und erhabenem Stil. "Seeaalsuppe" hingegen ist schon als Wort schwer zu lesen und weckt nicht gerade feierliche oder gar köstliche Assoziationen. Das Rezept für chilenische Seeaalsuppe, vom Dichter Pablo Neruda in Form einer Ode geschrieben, macht ab

Pablo Neruda Seeaalsuppe. Bild von Eugenia Loginova.
Pablo Neruda Seeaalsuppe. Bild von Eugenia Loginova.

Pablo Neruda war nicht nur ein berühmter chilenischer Dichter und Schriftsteller, der sich vor allem gegen den Faschismus in seinem Heimatland und in Spanien einsetzte, nicht nur ein Nobelpreisträger für Literatur im Jahr 1971, sondern auch ein großer Gourmet und Liebhaber des guten Essens. Neben der Ode an die Seeaalsuppe schrieb er noch weitere: an die Tomaten, Kartoffeln, Zwiebeln, Zitronen, das Salz, den Mais und an den Wein.

Ode an die Seeaalsuppe (Oda al caldillo de congrio)

Im sturmdurchwühlten Meer von Chile lebt der rosenfarbene Seeaal, der Aal-Gigant mit schneeigem Fleisch. Und in den chilenischen Kochtöpfen an der Küste kam zur Welt die reiche, kräftige, köstliche Suppe. Man bringt den enthäuteten Aal in die Küche, seine fleckige Haut lässt sich abziehen wie ein Handschuh, und da liegt er nun, nackt, dieses Traubengebild des Meeres, schon schimmert der zarte in seiner Blöße, bereit für unsre Begier. Nun nimm den Knoblauch, streichle zuerst einmal dieses köstliche Elfenbein, rieche seinen aufreizenden Duft, und dann gibst du den Knoblauch, feingehackt, mit der Zwiebel und der Tomate hinein, bis die dünstende Zwiebel goldfarben wird. Unterdes kochen die Meereskrebse, die königlichen, im Dampf, und wenn sie gerade gar sind und das Aroma in die Brühe einkocht, die aus des Weltmeeres Saft besteht und dem klaren Wasser, das das Licht der Zwiebel ausschied, dann muss der Seeaal hinein und rühmlich darin untergehen, auf dass er im Sudtopf sich schließe und voll sich sauge mit Duft und Öl. Jetzt ist nur noch vonnöten, wie eine geschlossene Rose die Sahne gleiten zu lassen in das Gericht und auf langsamem Feuer zu brodeln den Schatz, bis in der Brühe erwärmt sind Chiles Essenzen und auf den Tisch gelangen, jung vermählt, der Wohlgeschmack des Meeres und der Erde, auf dass du kennenlernst den ganzen Himmel bei diesem Gericht.

Quelle: Youtube, eine DDR-Veranstaltungsreihe "JAZZ - LYRIK – PROSA", gesprochen von Eberhard Esche

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