Ende April veröffentlichte das Forscherteam um Prof. Dr. Andreas Zick die Ergebnisse ihrer „Mitte-Studie“, die alle zwei Jahre von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben wird. Die Studie erhält in der Regel ein relativ hohes Maß an Aufmerksamkeit. Mit der Diskussion, die die Veröffentlichung der Ergebnisse in diesem Jahr lostrat, hatten die Forscher*innen jedoch nicht gerechnet.
Der Moderator Claus Kleber stellte im heute journal einige kritische Nachfragen, die von der Redaktion aus dem Interview gekürzt wurden und erst durch eine twitter-Meldung von Kleber selbst an die Öffentlichkeit gelangten. Die BILD-Zeitung griff die Thematik auf und machte die Studie kurzerhand zur „Asylstudie“. Auch die Politik mischte sich ein: Sigmar Gabriel (SPD) kritisierte die Forscher*innen in einem BILD-Interview dafür, die Untersuchungsergebnisse einseitig ausgewertet zu habe. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) pflichtete ihm bei. Die Folge: Drohungen und Polizeischutz für Professor Andreas Zick, der sich seitdem für seine Forschung verteidigen muss.
Kritisiert wurden vor allem einzelne Fragestellungen, die auf die Haltung gegenüber Asylbewerberinnen zielen. Lässt sich tatsächlich durch eine Ablehnung der Aussage „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein“ darauf schließen, dass ein Großteil der Befragten Asylbeweberinnen gegenüber negativ eingestellt ist?
FM: Herr Zick, wie nahmen Sie die Diskussion um die Ergebnisse Ihrer Studie in der Öffentlichkeit wahr?
AZ: Die Studie hat viele Aspekte. Eine Fokussierung kam durch ein ZDF-Interview von Beate Küpper, welches in der BILD-Zeitung die Mitte-Studie zur „Asylstudie“ umgedeutet hat und unsere Einstellungsmessungen als gesteuert erschienen ließ. Die Befunde um die Ergebnisse wurden gar nicht diskutiert. Dass wir weder einen Rechtsruck noch eine Unterstellung berichtet haben, wurde nicht genannt.
Dass aber im Kontext der Studie die Meinungen über Asylsuchende eben mit anderen Abwertungen einhergehen, auch mit extremistischen Einstellungen, wurde schlichtweg als Vorhaltung interpretiert. Es ist schon beachtlich, dass die Studie als „Asylstudie“ kursiert, was uns viel darüber sagt, wie wir Asyl verstehen. Der Umgang und die Kampagnen sind meiner Ansicht Teil des Problems und werden in der Studie auch beschrieben. Insofern ist Vieles Ausdruck der Problemlagen, die wir selbst beschreiben. Es hilft nicht mehr, zu betonen, dass wir weder eine Parteien- noch Bewegungsstudie machen.
Fakten-Check: In der Studie berichten die Autor*innen davon, dass sich der Anteil der Bevölkerung stabilisiert, der asylsuchenden Menschen gegenüber negativ eingestellt ist. Seit der letzten Studie im Jahr 2016 stieg der Prozentsatz der Befragten, die negative Aussagen gegenüber Asylsuchenden vertreten, von 49,5 % auf 54,1 % an.
Soweit, so klar. Zick und seine Kolleg*innen brachten diese Aussagen mit weiteren Erkenntnissen zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Verbindung. Dabei handelt es sich um ein übliches sozialwissenschaftliches Verfahren: Zwischen verschiedenen untersuchten Faktoren werden Zusammenhänge hergestellt (eine genauere Analyse hierzu gibt Andrej Reisin vom NDR hier).
Es zeigte sich, dass Menschen, die Asylbewerberinnen abwerten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch Vorurteile gegenüber „Ausländerinnen“ oder Muslimen haben und den „Alteingesessenen“ Vorrechte zuschreiben. Es reicht also nicht aus, einer Aussage zuzustimmen. Erst das Zusammenspiel verschiedener Aussagen ergibt das Gesamtbild einer Ablehnung von Asylbewerber*innen. Dieses wiederum ist aber deutlich erkennbar.
Die Autor*innen schlussfolgern, dass sich die Abwertung von Asylsuchenden normalisiert hat. Wer diese Menschengruppe kritisiert, versteht sich nicht automatisch selbst als rechts(populistisch). Im Gegenteil: Man möchte unter keinen Umständen in die „rechte Ecke“ gestellt werden, wie sich in der Debatte um die Studie gezeigt hat.
FM: Sicher müssen Sie zugeben, dass die Überschrift „Verlorene Mitte“ provoziert. Was hat sie dazu bewogen, die Studie so zu nennen?
AZ: Gehen wir von dem urdemokratischen Modell einer zivilen Mitte aus, die Konflikte so regulieren kann, dass die Würde von Menschen und Gruppen nicht infrage gestellt wird, dann geht der Mitte etwas verloren, wenn antidemokratische Meinungen dort verhaften. Was sind rechtsextrem orientierte Mitglieder der Mitte? Ein Gewinn oder Verlust für das Modell der ausgleichenden Mitte? Die Mitte verliert an Stabilität.
Wir haben nicht gesagt, die Mitte ist verloren, aber so wird es verstanden und so soll es verstanden werden. Bei der Mitte beziehen wir uns weniger auf soziologische Analysen zu den Schichten, sondern demokratietheoretische Modelle. Es ist eigentlich ein konservatives Bild, wenn Sie so wollen, aber das ist nun durch die Unterstellung einer Intention verdeckt.
Fakten-Check: Die Mitte wird laut der Studie an ihren Möglichkeiten gemessen, Zusammenhalt durch den Zuspruch zur Demokratie herzustellen. Die Autor*innen schreiben weiter: „und zwar einen Zusammenhalt, der sich trotz oder gerade angesichts aller politischen und sozialen Differenzen herstellen lässt“. Es geht also darum, abweichende Einstellungen auszuhalten, aber eine gemeinsame Basis der Zustimmung zur Demokratie zu wahren.
Inwieweit die Mitte bereits „verloren“ ist, bleibt Gegenstand der Interpretation der Daten. In den vorherigen Studien war von einer gespaltenen und einer fragilen Mitte die Rede. Letztlich handelt es sich bei der verlorenen Mitte um eine Einschätzung der Forscher*innen. Diese treffen sie aber vor dem Hintergrund ihrer Langzeituntersuchung, die Entwicklungen über die Zeit aufzeigt. Fraglich ist, was noch kommt – die Auflösung der Mitte?
FM: Ihre Studie liest sich auf den ersten Blick so, als wollten Sie die Bevölkerung warnen und verhindern, dass sich Rechtspopulismus weiter verfestigt. Ist das ein Motiv, dass sie mit der Studie verfolgen?
AZ: Nein, mit der Studie haben wir nur ein Motiv: Eine empirische Analyse der Verbreitungen und Zusammenhängen von Überzeugungen - die nach allen Kriterien geprüft werden und die sämtlich transparent und nachprüfbar dokumentiert werden - der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, um Diskussionen zu ermöglichen, die auf empirischen Daten berufen.
Ein Beispiel: Die Öffentlichkeit und Politik diskutieren, ob die Gesellschaft nach rechts oder links gerückt ist. Wir haben die Befragten selbst gefragt. Wir wollen prüfen, inwieweit Meinungen am Rand in der Mitte verhaften. Mich interessiert die Stabilität von Demokratie, die Ursachen von Vorurteilen. Andere Forscherinnen und Forscher interessieren andere Aspekte.
Fakten-Check: An dieser Stelle ist es wichtig, einen Grundsatz der empirischen Sozialforschung heranzuziehen: Die Ergebnisse einer Studie müssen vor dem Hintergrund ihrer Fragestellung bewertet werden. Wer nach rechtsextremen und –populistischen Einstellungen fragt, wird darauf eine Antwort bekommen – auf andere Fragen, z.B. nach Linksextremismus, jedoch nicht. In der Studie werden verschiedene Zusammenhänge untersucht, die ein Gesamtbild ergeben.
Es zeigt, dass bestimmte Einstellungen sich in der Mitte der Gesellschaft festsetzen. Die Forschergruppe stellte die Frage „Kann angesichts bestimmter Faktoren von einem Verlust der Mitte gesprochen werden?“ und hat sie auf Grundlage ihrer Daten mit „Ja“ beantwortet. Die Mitte ist laut den Autor*innen dann in Gefahr, wenn „ihre sie einigende Qualität verloren geht und sie sich auf antidemokratische Ränder zubewegt“.
Es ist also weder das Ziel einer solchen Studie, die Bevölkerung zu warnen noch sie zu loben, wie es Sigmar Gabriel forderte. Eine wissenschaftliche Untersuchung bringt Ergebnisse auf Grundlage ihrer Fragestellung und ihrer Ausgangshypothesen hervor.
FM: Als Flüchtling-Magazin interessieren wir uns besonders für die Ressentiments gegenüber Asylbewerber*innen, die laut Ihrer Studie weit verbreitet sind. Erstaunt waren wir darüber, dass auch unter den jüngeren Menschen die ablehnende Haltung noch so groß ist. Wie schätzen Sie die Ablehnung von Asylbewerber*innen ein, v.a. in den unterschiedlichen Altersgruppen?
AZ: Wir beobachten in der Mitte-Studie, wie aber auch in einer anderen Studie (ZuGleich), dass negative Stereotype und Vorurteile gegenüber Asylsuchenden und Geflüchteten viel weiter verbreitet sind als wir annehmen. Wir beobachten, dass nach der heftigen Debatte um die Migration und die Grenzen das Vorurteil bleibt, weil das negative Bild die Diskussion bestimmt hat. Dass Vorurteile nach der Zuwanderung steigen und nicht während der Migration, ist bekannt. Jetzt können wir es empirisch zeigen.
Dass die Studie Asylstudie genannt wird, ist Zeichen der Schieflage, nicht Ausdruck einer Kritik. Aus der Akkulturationsforschung ist bekannt, wie schwerwiegend für die Integration Vorurteile gegenüber Gruppen sind. Sie bremsen Integrationsprozesse. Die Mitte-Studie regt dazu an, diese Stereotype und Vorurteile ernst zu nehmen. Die Korrelation der Meinungen zu Geflüchteten und Asylsuchenden zu Rechtspopulismus, -extremismus und neurechten Einstellungen, wie auch Gewaltbilligungen sprechen eine klare Sprache.
Leider wird die Auseinandersetzung damit jedoch nun davon überdeckt, dass diskutiert wird, ob wir etwas unterstellen. Ich denke, der Umgang mit der Studie ist mehr Symptom als kritische Auseinandersetzung. Schade, aber auch ein Zeichen der Zeit.
Fakten-Check: Die Schieflage, die Prof. Dr. Zick anspricht, wird auch in der Mitte-Studie selbst thematisiert. Ein wichtiger Zusammenhang, den die Studie aufzeigt, ist der zwischen feindlichen Einstellungen gegenüber bestimmten Gruppen und einer generellen Skepsis gegenüber der Demokratie. Ein Großteil der Bevölkerung befürwortet die Demokratie an sich, doch: Wer Vorurteile hat und bestimmte Gruppen abwertet, zweifelt gleichzeitig oft stärker daran, dass die Demokratie die beste Staatsform ist.
Die Zustimmung zu Demokratie und den Werten des Grundgesetzes bei gleichzeitiger Ablehnung von asylsuchenden Menschen scheint erst einmal paradox. Die Mitte-Studie zeigt allerdings, dass die Abwertung dieser Gruppe trotzdem verbreitet ist und deshalb funktioniert, weil sie als normalisiert wird. Hier zeigt sich genau die Verschiebung des Diskurses, auf die die Forschergruppe aufmerksam macht: Menschenfeindlichkeit wird in der Öffentlichkeit nicht mehr als solche bezeichnet, sondern als berechtigte Kritik an einer Menschengruppe „verpackt“. Diesen Vorwurf hört die Mitte allerdings nicht gerne.
Fazit: Was schon in der Einleitung zur Mitte-Studie bemerkt wird, zeigte sich in der Diskussion im Anschluss an ihre Veröffentlichung: Wer sich der Mitte zugehörig fühlt, will nicht aus ihr verdrängt werden, weil er Ansichten vertritt, die mit ihrer demokratischen Ausrichtung eigentlich nicht vereinbar sind. Dafür werden Expertisen in Frage gestellt und fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse als Unterstellung bezeichnet. Die Methoden und Ergebnisse einer solchen Untersuchung müssen immer hinterfragbar bleiben. Allerdings gilt in diesem Fall: Die Zahlen sprechen für sich und die Mitte der Gesellschaft wird sich damit auseinandersetzen müssen, wo sich menschenfeindliche Diskurse normalisieren und antidemokratische Haltungen Einzug halten.