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Neue Verfassung für Syrien: Neuanfang oder Machterhalt?

Nach 13 Jahren Krieg unterzeichnet Syriens Übergangspräsident eine neue Verfassungserklärung. Während sie Reformen verspricht, warnen Kritiker*innen vor einer Machtkonzentration. Was steckt dahinter?

Nach dem Sturz des Assad-Regimes und 13 Jahren Krieg steht Syrien vor einer neuen politischen Phase. Präsident Ahmad al-Shar hat eine Verfassungserklärung unterzeichnet, die von einer Expertenkommission erarbeitet wurde. Sie umfasst 44 Artikel und legt fest, dass die Macht während der Übergangszeit beim Präsidenten liegt. Zudem bleibt die islamische Rechtswissenschaft Grundlage der Gesetzgebung.

 

Die wichtigsten Inhalte der Verfassungserklärung

Präsidiale Macht während der Übergangsphase
Für die kommenden fünf Jahre liegt die Exekutivgewalt allein beim Präsidenten. Das Parlament hat das alleinige Recht, Gesetze zu verabschieden. Nur in Notfällen darf der Präsident den Ausnahmezustand verhängen – mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrats.

Grundrechte und Gewaltenteilung
Die Erklärung sichert Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Auch politische und wirtschaftliche Rechte von Frauen werden geschützt. Gleichzeitig bleibt die islamische Rechtswissenschaft die wichtigste Quelle der Gesetzgebung.

Reformen und Institutionen
Neue Institutionen sollen geschaffen werden, darunter ein oberster Wahlausschuss und ein Gremium, das Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüft. Das bestehende Verfassungsgericht soll durch eine neue Institution ersetzt werden.

Aufarbeitung der Vergangenheit
In der Übergangszeit wird eine Kommission zur „Übergangsjustiz“ eingerichtet. Sie soll Verbrechen aus dem Konflikt aufarbeiten und Opfern des Regimes Gerechtigkeit verschaffen.

 

Unterschiedliche Einschätzungen innerhalb und außerhalb von Syrien

Kritiker*innen warnen, dass das Dokument keine echte politische Erneuerung bringt. Sie befürchten, dass das präsidiale System dem Übergangspräsidenten uneingeschränkte Macht gibt, ohne eine entsprechende demokratische Kontrolle.

Andere Expert*innen argumentieren, dass es nicht fair sei, den Entwurf mit den Verfassungen stabiler Staaten zu vergleichen. Sie rufen dazu auf, den politischen Prozess als einen ersten Schritt zu sehen und betonen die Notwendigkeit eines breiten Dialogs zwischen allen Parteien, um die nationale Einheit unter Syrer * innen zu stärken.

Einige syrische Oppositionsgruppen kritisieren den Entwurf scharf. Die kurdische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien wirft der Verfassungserklärung vor, die Vielfalt des Landes nicht abzubilden. Teile der Gesellschaft, insbesondere ethnische Minderheiten wie die Kurd*innen, würden nicht ausreichend berücksichtigt. Sie warnen, dass die neue Regelung alte politische Strukturen unter der Baath-Partei zementieren könnte.

Abdel Hamid al-Awak, ein Mitglied des Verfassungsausschusses erklärte hingegen, dass der Präsident keine Abgeordneten entlassen und das Parlament ihn nicht absetzen kann – ein Modell, das er mit den Systemen in den USA, der Türkei und weiteren Ländern vergleicht. Ein weiteres Ausschussmitglied, Reyan Kheilane, hob hingegen hervor, dass die in der Verfassungserklärung verankerten Freiheitsrechte allen Bestandteilen des syrischen Volkes zugutekommen würden. Er verwies auch auf die Abschaffung von Sondersgerichten und die Einrichtung eines Gerichts für Übergangsjustiz als positive Neuerungen.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres begrüßte den Schritt. Er betonte, dass die Vereinten Nationen bereit seien, Syrien auf dem Weg zu einem politischen Neuanfang zu unterstützen. Das Ziel sei ein Syrien, das auf Rechtsstaatlichkeit und Würde basiert.

Die Unterzeichnung der Verfassungserklärung ist ein bedeutender Schritt für Syrien. Während einige sie als Chance zur Stabilisierung sehen, befürchten andere, dass sie einen echten demokratischen Wandel verhindert. Entscheidend wird sein, ob ein offener politischer Dialog entsteht, der alle gesellschaftlichen Gruppen mit einbezieht.

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