Es ist ein Raum voller Erwartungen. Kinder stehen auf der Bühne, jedes von ihnen hält ein Mikrofon, jedes von ihnen ein Herz voller Aufregung. Sie sagen ihre Namen, einer nach dem anderen, und dann: „Was bedeutet dein Name?“ Die Antworten hallen durch den Saal wie Echos ihrer Herkunft, ihrer Identität. Eltern sitzen an runden Tischen, ihre Augen leuchten stolz. Die Smartphones filmen, doch das hier, so scheint es, soll mehr sein als ein Moment, der in die Kamerarolle wandert. Es ist der Abschluss einer Reise, die auf Arabisch begann.
Nusaiba Aldaher steht an der Seite der Bühne. Ihr Blick ruht auf den Kindern, sie lächelt, sanft und ermutigend. Sie ist die Frau, die all das möglich gemacht hat. Der Abend ist das Ergebnis ihrer Arbeit, ihres Willens und – ja, ihrer Trauer. Denn ohne diese Trauer gäbe es nicht das Theaterstück, das gleich starten wird.
Die Frau, die Zusammenhalt schafft
Nusaiba Aldaher ist keine Fremde in der Welt der Brüche. Ihr Leben begann in Saudi-Arabien, wohin ihr Vater geflohen war, um den syrischen Krieg zu entkommen im Jahre 1984. Sie wuchs dort auf, in einer Welt, die sie nie ganz als ihre eigene betrachten durfte. Bürgerrechte? Fehlanzeige. Bildung und Gesundheitsversorgung? Nur eingeschränkt zugänglich. Und doch, mitten in dieser Enge, fand Nusaiba ihren Weg. Sie machte ein Diplom in Pädagogik, arbeitete über ein Jahrzehnt mit Kindern und schuf Räume für Lernen und Hoffnung.
Nun, diese Einschränkungen konnten sie nur so lange ertragen, bis sie mit ansehen musste, wie ihre eigenen Kinder demselben Schicksal ausgesetzt waren. Sie durften keine regulären Schulen besuchen, und Privatschulen waren unerschwinglich teuer. Schließlich entschied sich die Familie, eine neue Fremdheit zu ertragen, und wanderte nach Deutschland aus. „Ich habe die Bildungschancen hier von Anfang an sehr geschätzt“, erzählt sie. Sie lernte die deutsche Sprache, erreichte den Kurs C1, arbeitete hart und blickte nach vorne. Doch dann geschah es: Der Unfall, der ihrer Tochter das Leben kostete. „Ich war drei Jahre wie gelähmt“, sagt sie heute.
Aus Schmerz wird Sinn
Nusaiba ließ sich nicht brechen. Sie räumte das Zimmer ihrer Tochter leer, doch das bedeutete keinen Abschied. Es war ein Neubeginn. In diesem Zimmer wurden ihre Ideen geboren, ihre Kurse für Arabischunterricht, ihre Theaterstücke. Kinder, die zuvor mit den Spielsachen ihrer Tochter spielten, lernten nun, ihre Muttersprache zu schreiben und zu sprechen. „Ich hatte das Gefühl, ich konnte diesen Kindern etwas geben, was ich meiner Tochter nicht mehr geben konnte“, sagt sie. Und dieser Gedanke schien sie zu tragen.
Die Arabischkurse wurden zu mehr als Unterricht. Sie wurden zu Brücken – zwischen den Kindern und ihren Wurzeln. Nusaiba merkte, dass die Kinder oft nicht einmal wussten, was ihre Namen bedeuteten. Und so begann sie, Theaterstücke zu entwickeln. „Ich wollte, dass sie mit demselben Selbstbewusstsein auf Arabisch auf der Bühne sprechen, wie sie es auf Deutsch tun – und dass diesmal ihre Eltern ihnen zuhören, anstatt immer umgekehrt.“
Eine Bühne der Erinnerung
Nun stehen zwei Mädchen vor der Bühne, die Lichter werden gedimmt. Eine Fluchtszene entfaltet sich. Das Boot auf dem Meer, die Angst, die keine Sprache kennt. „Ich weiß, dass diese Szene traurig ist“, erklärt Nusaiba später. „Aber es geht nicht darum, Traurigkeit zu erzeugen. Es geht darum, dass die Kinder die Geschichten ihrer Eltern verstehen und sie respektieren.“ Die Flucht, die Trennung, das Ankommen, es sind mehr als Geschichten. Es sind Wurzeln, die in diesen kleinen Menschen weiterleben werden.
Als der Abend endet, stehen die Eltern auf, applaudieren, lächeln. Nusaiba sieht es und denkt schon an das, was noch kommt. Sie hat Pläne. Arabische Bücher für Kinder, die sie in ihren Kursen einsetzen will, mehr Theaterstücke, mehr Gelegenheiten, die Sprache lebendig zu halten. „Es geht nicht nur um das Sprechen“, sagt sie. „Es geht um Zugehörigkeit.“