Das Projekt beginnt damit, dass Julius Matuschik, Fotojournalist und damaliger Empfänger des Praxis-Fellowships an der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG), sich mit dem Anliegen an die AIWG wendet, muslimisches Leben, so wie es wirklich ist, durch seine Fotografien abbilden zu wollen. Es sollen Fotos entstehen, in denen sich die meisten Muslim*innen wiederfinden können. Er reflektiert über die Repräsentation des Islam in der deutschen Gesellschaft: „Für mich als Fotojournalist ist die Frage nach meiner Verantwortung als Medienschaffender von großer Bedeutung, insbesondere die Frage danach, wie Fotografien wirken.“ Die Idee zu „Moin und Salam“ ist geboren.
Was als Blog beginnt, wird über ein zusätzliches Publikationsvorhaben erweitert, wodurch im April 2024 der Bildband im Kerber Verlag veröffentlicht wird. Raida Chbib, Wissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, liefert den Kontext und formuliert die Texte. Julius Matuschik steuert das Bildmaterial bei. Die Autorinnen wollen ein differenziertes Bild von Musliminnen präsentieren und begeben sich dazu auf eine Reise durch die historischen Anfänge muslimischen Lebens in Deutschland bis hin zum Leben in der muslimischen Community heute.
Statt Stereotype zu bedienen, sollen echte Lebensrealitäten Raum finden. „Erschreckend war für mich, wie sehr die mediale Darstellung muslimischen Lebens in Deutschland von der Realität abweicht“, bemängelt Julius Matuschik die oft einseitige und negativ geprägte Repräsentation in den deutschen Medien. Dass der Islam und Muslim*innen längst ein integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft sind, wird oft unterschlagen.
Polarisierung führt zu Anfeindungen und Übergriffen gegen Muslim*innen
Durch politische Debatten konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit häufig auf problematische Aspekte in Verbindung mit dem Islam. Radikalisierung und Terrorismus finden in den Medien eine Überrepräsentation und verstärken so Vorurteile gegenüber Menschen muslimischen Glaubens und dem Islam. „Leider gerät dadurch das weitgehend gelungene gesellschaftliche Alltagsleben der Mehrheit der Muslim*innen in Deutschland in den Hintergrund“, kritisiert Raida Chbib. Das kann schnell gefährlich werden. Polarisierung führt zu Anfeindungen und Übergriffen gegen Muslim*innen. Das bestätigen auch zahlreiche Untersuchungen, zuletzt die Studie der Europäischen Grundrechteagentur FRA zur Diskriminierung von Muslim*innen in der EU, wie Raida Chbib erwähnt.
In einer Pressemitteilung vom Juni 2024 verzeichnet die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (CLAIM) einen Anstieg von antimuslimischen Straftaten um 114 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Raida Chbib verweist auf den „Religionsmonitor 2023“ der Bertelsmann Stiftung und eine Untersuchung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, die beide eine Zunahme antimuslimischer Einstellungen und islamfeindlicher Straftaten in Deutschland zeigen. Auch die 2020 veröffentlichte Studie „Muslimfeindlichkeit“ vom Bundesinnenministerium bestätigt den Zusammenhang zwischen negativ verzerrten Generalisierungen in den Medien und der zunehmenden Wahrnehmung von Muslim*innen als Bedrohung.
„Eine der häufigsten Fehlannahmen ist, dass Menschen muslimischen Glaubens eine homogene Gruppe mit einheitlichen Werten und Verhaltensweisen seien, die im Widerspruch zur deutschen Gesellschaft stünden“
Den politischen Debatten liegt oft auch die Fehlannahme zugrunde, dass Musliminnen generell mit Migration gleichzusetzen seien. Muslimische Deutsche sind aber längst Teil der deutschen Gesellschaft, betont auch Raida Chbib. Im öffentlichen Diskurs wünscht sie sich deshalb mehr Differenzierung für eine vielfältige Gemeinschaft. „Eine der häufigsten Fehlannahmen ist, dass Menschen muslimischen Glaubens eine homogene Gruppe mit einheitlichen Werten und Verhaltensweisen seien, die im Widerspruch zur deutschen Gesellschaft stünden“, kritisiert Raida Chbib. Dabei unterschieden sich Musliminnen deutlich in kulturellen Hintergründen und der Art, wie sie ihren Glauben auslegen und ausleben.

AIWG/Aynur Caglar
Bei der Arbeit am Bildband hat Julius Matuschik viele Erkenntnisse. Zum Beispiel, dass der Islam nicht erst mit den sogenannten Gastarbeiterinnen nach Deutschland gekommen ist. „Zu sehen, dass es historische Bezüge ins Mittelalter und darüber hinaus gibt, hat mich sehr überrascht“, gesteht Julius Matuschik. Und nicht nur ihn. Auch Raida Chbib war von der fotografischen Dokumentation dieser Historie beeindruckt. Dass Julius Matuschik überhaupt so viel Zeit hatte, die Archive zu sichten, ist der Pandemie geschuldet. Was zunächst in Form von Beschränkungen als große Herausforderung beginnt, entwickelt sich zu einer spannenden Reise in die Vergangenheit. Etliches Bildmaterial muslimischen Lebens in Deutschland auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg weckt die Neugierde der Autorinnen.
„Mich hat es jedes Mal beeindruckt, wie die Gläubigen es geschafft haben, hier eine spirituelle, andächtige Atmosphäre zu gestalten“
Um die muslimische Vielfalt in Deutschland zu zeigen, fotografiert Julius Matuschik in allen Bundesländern und lernt etliche Moscheen kennen. Für eine Lieblingsmoschee kann er sich dennoch nicht entscheiden. Besonders berührt haben ihn zweckentfremdete Moscheen. Ehemalige Werkstätten, Büroräume, Kirchen, Wohnungen. Sogenannte Hinterhofmoscheen. Einmal fotografiert Julius Matuschik sogar eine Moschee in einer ehemaligen Tiefgarage. „Mich hat es jedes Mal beeindruckt, wie die Gläubigen es geschafft haben, hier eine spirituelle, andächtige Atmosphäre zu gestalten“, erzählt er.

AIWG/Aynur Caglar
Der Bildband soll vor allem neugierig machen. Man kann mal hier und mal da haften bleiben und sich in ein Thema vertiefen oder von Anfang bis Ende lesen. Wer mal eine Pause von der Lektüre braucht, kann sie ungeniert auf dem Kaffeetisch liegen lassen, denn schön ist der Bildband allemal.
„Für mich bleibt ein Buch zeitlos“, beschreibt Raida Chbib ihre Motivation, das digitale Format des Blogs in ein analoges zu verwandeln. Drei Jahre lang arbeiteten die beiden an Blog und Bildband. Für Julius Matuschik bisher sein größtes Projekt als Fotojournalist. Jetzt freut er sich auf den Austausch mit den Leser*innen. „Es ist nicht meine erste Publikation, aber die schönste“, sagt Raida Chbib dazu. Diese jetzt in den Händen halten zu können, ist für sie ein besonderes Erlebnis.
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