Von der Revolution in Syrien zur politischen Bildungsarbeit in Schwerin: Mohamad Nour Aldghim floh 2015 aus Syrien, er verlor viel, aber schuf auch Hoffnung und Neues. Heute ist er eine wichtige Stimme für die syrische Gemeinschaft in Deutschland und engagiert sich mit seiner Initiative "Wiederaufbaukanäle Syriens e.V." für konkrete Hilfe und langfristige Perspektiven.
„Was man von außen sieht, ist ein Mohamad. Aber im Inneren sind es zwei.“ Dieser Satz beschreibt nicht nur die psychologische Erfahrung eines Geflüchteten, er ist auch ein Schlüssel zum Verständnis dessen, wie Mohamad Nour Aldghim die Welt sieht und wie er sie zu verändern versucht. Geboren in Dscharjanaz (Jarjanaz), einer Stadt in der syrischen Provinz Idlib, erlebte er die Revolution 2011 als Student. Von Beginn an war er Teil der Protestbewegung gegen das Assad-Regime, organisierte Demonstrationen und beteiligte sich an zivilgesellschaftlicher Koordination. 2012 wurde er verhaftet und drei Monate lang in syrischen Gefängnissen gefoltert.
„Nach meiner Freilassung wog ich nur noch 43 Kilogramm Haut und Knochen.“ Diese Erfahrung habe ihn nachhaltig geprägt. Als sich die Sicherheitslage in seiner Heimatstadt 2015 dramatisch verschlechterte und der IS immer näher rückte, blieb ihm keine Wahl: Er floh. „Es war die bitterste Entscheidung meines Lebens“, reflektiert er heute.
Neuanfang in Schwerin
In Schwerin begann für Mohamad ein neues Kapitel. Doch das Ankommen war nicht einfach: ein Spagat zwischen Integration und Identitätsbewahrung, zwischen Trauma und Tatendrang. Er war in der Sozialarbeit tätig, beriet Betroffene rechter Gewalt, engagierte sich für politische Bildung und wurde zu einem wichtigen Ansprechpartner für viele Geflüchtete. Gleichzeitig begann sein Engagement in der Lokalpolitik. Ohne Parteibindung, aber mit klarem Kompass.
Sein politisches Denken sei dabei von der Erfahrung, ausgeschlossen zu sein, geprägt. Er kritisiert etwa die langsamen Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse: „Ich kenne über 300 pädagogische Fachkräfte, die aufgegeben haben, weil sie jahrelang auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse gewartet haben. Das ist ein Verlust für uns alle.“ Mohamad äußert auch Kritik an der Art, wie in Deutschland und Europa über Syrien gesprochen wird: „Kaum war das Regime gestürzt, wurde hier über Abschiebungen diskutiert. Statt zu fragen: "Wie können wir helfen, Stabilität aufzubauen?“ Er fordert mehr Differenzierung, mehr Verständnis für die komplexe Lage vor Ort und mehr Anerkennung für das Engagement syrischer Menschen in Europa.
Gezielte Hilfen für Syrien
Mohammed Nour Aldghim gründete den Verein “Wiederaufbaukanäle Syriens e.V.” mit, der aus einer kleinen Gruppe entstanden ist und heute rund 3.600 Menschen vernetzt. Viele von ihnen haben einen syrischen Hintergrund und Fachkenntnisse in Medizin, Bildung oder Technik. Ziel des Vereins ist es, die Hilfe für Syrien zu bündeln und gezielter zu organisieren – gemeinsam statt einzeln. Ein Schwerpunkt ist die Medizin. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und Partnerorganisationen sollen medizinische Fachkräfte regelmäßig in syrische Krankenhäuser reisen. Außerdem werden Geräte repariert und neue Hausarztpraxen aufgebaut. Weitere Projekte betreffen psychologische Beratung, Bildung für Kinder und Jugendliche sowie nachhaltige Energieversorgung. Der Verein arbeitet mit verschiedenen Akteuren vor Ort zusammen, darunter auch staatlichen Institutionen. Laut Mohamad sei das notwendig, weil viele Nichtregierungsorganisationen in Syrien überlastet seien oder keine genauen Daten zu den Bedarfen liefern könnten.
Trotz aller Schwierigkeiten glaubt Mohamad an die Zukunft Syriens. Er berichtet von Gesprächen mit Menschen vor Ort, die nicht auf Rache aus sind, sondern auf Sicherheit, Teilhabe und eine Rückkehr in Würde. „Die Hoffnung ist da, weil die Menschen sie geschaffen haben.“
Sein Ziel: Eine Gesellschaft, die aus den Fehlern der Vergangenheit lernt. Eine Zivilgesellschaft, die aus den Trümmern der Diktatur eine Demokratie aufbaut. Und eine internationale Gemeinschaft, die diesen Weg solidarisch begleitet. Mohamad Nour Aldghims Geschichte erinnert daran, dass Engagement nicht an Grenzen endet.