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2 Min. Lesezeit Kolumne

Mehrsprachigkeit: Herausforderungen und Chancen

Warum wird Mehrsprachigkeit bei einem Kind als Vorteil, beim anderen als Nachteil betrachtet? Maria schreibt aus ihrer Perspektive als Lehrerin über die Herausforderungen und Chancen, die das Beherrschen mehrerer Sprachen mit sich bringt.

Mehrsprachigkeit: Herausforderungen und Chancen
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Mehrsprachigkeit in der Schule ist eine Realität, die jedoch oft unbeachtet bleibt oder kritisch hinterfragt wird. Wenn Schüler*innen Französisch oder Englisch sprechen oder entsprechende Akzente aufweisen, wird dies als unproblematisch und sogar als Bildungsvorteil angesehen. Sprachen wie Türkisch oder Arabisch hingegen werden oft als Problem und Bildungshindernis wahrgenommen.

Besonders deutlich wurde dies 2018, als Prinzessin Charlotte in deutschen Medien aufgrund ihrer Bilingualität als hochbegabt dargestellt wurde. Schnell kam in den sozialen Medien Kritik auf: Während die Mehrsprachigkeit der Prinzessin gefeiert wurde, wird die der Kinder aus weniger privilegierten Elternhäusern und mit Migrationshintergrund häufig problematisiert.

Auch im schulischen Kontext zeigt sich dieses Phänomen. Oft stellt sich die Frage: „Kann das Kind überhaupt Deutsch?“. Mehrsprachigkeit wird, je nach Sprache, schnell als Identifikationsmerkmal oder gar als Ursache von Defiziten gesehen. Als ich einmal mit Schüler*innen einer 6. Klasse über Herkunft und Identität sprach, bestätigte mir eine Kollegin vor den Kindern, die alle in Deutschland geboren und sozialisiert waren, dass sie „nicht deutsch“ seien, weil sie zu Hause eine andere Sprache sprächen. „Ich spreche auch andere Sprachen und sehe mich dennoch als Deutsche!“, entgegnete ich. Die Kollegin reagierte überrascht mit einem „interessant“.

Sie war sich ihrer Ausgrenzung nicht bewusst und sah eine andere Sprache tatsächlich als Hindernis an. Dass ich, eine ausgebildete Lehrkraft ohne jegliche sprachlichen Defizite, zu Hause eine andere Sprache spreche, war für sie unerwartet.

Der Schulalltag stellt uns vor Herausforderungen: Lehrpläne, Zeitdruck und mangelnde Ressourcen lassen oft wenig Raum für sprachliche Vielfalt. Wie gehen wir mit Schüler*innen um, die kaum Deutsch sprechen? Wie unterstützen wir sie, ohne sie auszugrenzen? Wie begegnen wir Lehrkräften, die unsicher sind, wenn sie mit einer sprachlichen Vielfalt konfrontiert werden, die sie nicht kennen? Diese Fragen beeinflussen die Haltung der Lehrkräfte – gezielte Unterstützung und Fortbildungen sind daher unverzichtbar.

"Deutsch bleibt zweifellos der Schlüssel zu Bildung und Teilhabe, doch Mehrsprachigkeit darf nicht als Hindernis gesehen werden"

Dabei ist es für viele Schüler*innen selbstverständlich, im Alltag mehrere Sprachen zu nutzen. Zu Hause sprechen sie eine Sprache, in der Schule eine andere, und oft noch eine dritte mit Freund*innen. Selbst Menschen ohne Migrationsgeschichte erleben ähnliche Mehrsprachigkeit durch die Digitalisierung, Filme, Serien oder globale Interaktionen auf Plattformen. Eine Schulfreundin lernte beispielsweise Mandarin durch Filme, und meine Schwester brachte sich in ihrer Freizeit Koreanisch bei.

Auch bei Lehrkräften spielt Mehrsprachigkeit eine Rolle. Es ist vorgekommen, dass ich Schüler*innen auf Dari unterstützt oder bei Elterngesprächen Übersetzungen überprüft habe. Viele Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte tragen ihre Mehrsprachigkeit in sich, nutzen sie jedoch zu selten. Dabei könnten sie ein wertvolles Vorbild sein.

Als Lehrerin mit eigener Migrationsgeschichte sehe ich die Chancen, aber auch die Herausforderungen der Mehrsprachigkeit. Zu oft wird sie als Defizit betrachtet, das überwunden werden muss. „Erst mal richtig Deutsch lernen!“, heißt es dann – eine Forderung, die mehr ablehnt als integriert. Deutsch bleibt zweifellos der Schlüssel zu Bildung und Teilhabe, doch Mehrsprachigkeit darf nicht als Hindernis gesehen werden.

Sie bietet große Chancen: Das Wechseln zwischen Sprachen erfordert kognitive Fähigkeiten, die die Forschung längst als Ressource erkannt hat. Mehrsprachige Kinder können oft schneller Perspektiven wechseln, Muster erkennen und sich auf neue Situationen einstellen. Sie verkörpern die Komplexität unserer globalisierten Welt – eine Kompetenz, die es zu fördern gilt.

Mehrsprachigkeit ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Die Integration in Lehrpläne, Methoden und Erwartungen mag zunächst herausfordernd wirken, doch die Vorteile überwiegen: Die Identitäten und Lebensrealitäten der Schüler*innen werden sichtbar, der Selbstwert gestärkt und das soziale Miteinander gefördert.

Wenn wir Mehrsprachigkeit als Stärke begreifen, können unsere Schulen Orte werden, die die Realität unserer vielfältigen Gesellschaft widerspiegeln und bereichern. Die Zukunft ist global und divers. Wenn wir die individuellen Stärken fördern, stärken wir die Gemeinschaft – mit Inklusion statt Exklusion.

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