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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Mariann Yar: Ich habe einen politischen Körper

Die Schauspielerin Mariann Yar stand zuletzt mit ihrem One-Woman-Projekt „Landsfrau“ auf der Bühne. Mit kohero spricht sie über die Wahl zwischen Medizin und Kunst, Herausforderungen auf der Bühne und in der Zukunft.

Mariann Yar: Ich habe einen politischen Körper

Mariann Yar identifiziert sich mit den Pronomen she/her. Sie ist eine deutsch-afghanische Schauspielerin, die sich immer wieder mit Fragen ihrer Identität, Herkunft und Zugehörigkeit auseinandersetzen musste. Sie erzählt uns von ihrem Erlebnis als Migrantin während ihres Studiums, spricht über ihr letztes Projekt „Landsfrau“ und beantwortet für sich die Frage, wann der richtige Zeitpunkt ist, die durch Identität verursachten Wunden zu zeigen.

Vom Poetry-Slam zum Schauspielstudium

Schon in der Schule war sie gut in Naturwissenschaften und wollte ihrer Mutter nacheifern, die als Allgemeinärztin arbeitete. Sie strebte nach einem guten Abitur und wollte das schwierigste Fach in der Medizin nehmen, also Chirurgin werden. Doch dann kam die Kunst dazwischen. Sie begann, eigene Texte zu schreiben, zu zeichnen und nahm an Poetry-Slams teil. Mariann merkte, dass sie sich in der Kunst besser ausdrücken und ihre Gefühle verarbeiten konnte. Sie fragte sich, ob sie wirklich Medizin studieren wollte oder ob sie nur den Erwartungen ihrer Eltern und der Gesellschaft entsprechen wollte.

„Damals wollte ich zeigen, dass ich eine gute Migrantin bin. Das hat eine Rolle gespielt, dass ich nach einem guten Abitur strebte und versuchte, alle Möglichkeiten zu nutzen, die meine Eltern mir im Assimilierungsprozess beigebracht hatten. Dieses Overachieving, das jeder mit Migrationshintergrund kennt“, sagt sie.

Yar entschied sich, ihrer Leidenschaft zu folgen, und bewarb sich für ein Schauspielstudium an der Universität der Künste in Berlin. Sie wurde 2015 angenommen und studierte vier Jahre lang Schauspiel. Marian wurde freiberufliche Schauspielerin und arbeitete mit verschiedenen Theatergruppen und Regisseuren zusammen.

Den richtigen Zeitpunkt finden

Yar erzählt, wie sie sich als Migrantin im Studium fühlte. „Ich war in einer weißen Institution. Sie wollten schon von Anfang an, dass ich irgendwann mal ein Stück oder eine Szene über meine Identität mache, aber ich hatte keinen Bock auf dieses White-Gaze. Warum sollte ich mich vor denen nackt machen und meine Schmerzen öffnen? Das war für mich nicht die richtige Zeit und der richtige Ort“, sagt sie.

Auf ihre Herkunft reduziert zu werden, wollte sie nicht, und sie entschied sich vorerst, sich mit anderen Themen zu beschäftigen. Doch dann kam die Übernahme der Taliban in Afghanistan im Jahr 2021, die eine Art Retraumatisierung der Generation ihrer Eltern verursachte. Als neue Teile ihrer Familie denselben Fluchtweg nahmen wie ihre Eltern, verspürte sie einen starken Impuls, sich mit dem Thema zu beschäftigen und Aufmerksamkeit auf Afghanistan zu lenken, die von politischen Diskursen verdrängt worden war.

„Ich habe einen politischen Körper, deswegen ist das meiste meiner Arbeit politisch und ich möchte, dass das Thema Afghanistan weiterhin von Relevanz bleibt“, sagt sie. Sie schrieb ein Stück über Afghanistan, das sie „Landsfrau“ nannte. In diesem Projekt arbeitet sie mit zwei anderen Künstlern*innen, die für die Regie und die Musik zuständig waren. Sie führte auch Co-Regie und spielte selbst mit.

Von der Harmonia

In dem Theaterstück „Landsfrau“ steht Mariann allein auf der Bühne und inszeniert durch verschiedene Elemente wie Performance, Monologe und Gedicht ihre Geschichte als Afghanin in Deutschland. Sie beschreibt, wie sie sich nach dem 11. September, auch als Kind, ständig rechtfertigen musste und sich von Terrorismus distanzieren sollte. Für dieses Stück hat sie begonnen, ein besonderes Instrument zu spielen: die Harmonia. Es handelt sich um ein Tasteninstrument, das durch Missionare von Europa nach Asien gebracht wurde. „Das Instrument hat etwas unglaublich Heiliges an sich. Ich fand das bewundernswert, und das hat in meinem Leben gefehlt“, sagt sie.

Ein neues Instrument auf der Bühne zu spielen, war nicht die einzige Herausforderung, die sie für dieses Stück annahm, denn sie machte sich auch mit dem Singen alter afghanischer Lieder vertraut. „Ich dachte nie, ich könne besonders gut singen, und ich glaube, Singen hat einfach zu 50 % mit Selbstvertrauen zu tun“, erzählt sie lächelnd. In dem Stück verwendet sie Koran-Suren als Zwischenelemente. „Ich dachte, ich könne kein Stück über Afghanistan machen, ohne diesen Einfluss zu erwähnen“, sagt sie.

Yar beendet das Stück mit einem Monolog, der ihre Scham darüber, welchen Raum und welche Rolle sie in diesem Diskurs einnehmen sollte, einschließt. Mit dem Monolog versuchte sie, ihre Unsicherheiten zu verbalisieren. „Diesen Scham-Monolog habe ich geschrieben, um mich einmal davon zu befreien. Ich schrieb über meine Ängste, die mich gehindert haben, dieses Projekt vorher nicht gemacht zu haben. Das war für mich der Kompromiss zu einem Happyend.“

Zukunftspläne

Im Publikum nahm auch ihre Mutter Platz, die das Stück bereits dreimal gesehen hatte und bei jeder Aufführung berührt und stolz auf sie blickte. In ihrer weitläufigen Familie hatte bisher niemand eine Verbindung zur Kunst. Trotzdem hebt sie hervor, dass sie durch ihre künstlerische Arbeit ihre Familie mit einbeziehen kann. Für sie ist es von Bedeutung, dass ihre Angehörigen erkennen, dass auch sie ein Bestandteil dieses kreativen Ausdrucks sind.

In Bezug auf ihre Zukunftspläne gibt Yar an, dass sie weiterhin an dem Thema Afghanistan arbeiten möchte, jedoch nicht nur allein auf der Bühne stehen will. Ihr Ziel ist es, mit anderen Künstler*innen zusammenzuarbeiten und neue Formen der Kunst zu erkunden. Sie betont, dass sie sich nach wie vor auf der Suche befindet und noch viel zu lernen hat. Zudem hegt sie den Wunsch, mehr über ihre eigene Geschichte und ihre Wurzeln zu erfahren.

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