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2 Min. Lesezeit Kolumne

Manchmal fressen sich Ratten durch Wände

"salam & privet"-Autorin Lina schreibt, warum es Mut braucht, Träume zu verfolgen – und wie Ermutigung den Unterschied macht

Manchmal fressen sich Ratten durch Wände
Fotograf*in: Tingey Injury Law Firm auf Unsplash

Es war Nachmittag und der Studieninformationstag war in vollem Gange, als das Mädchen vor mir stand. Ihre Augen zeigten eine Mischung aus Nervosität und Sorge und ihre Stimme zitterte leicht, als sie fragte: „Kann man auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft Jura studieren?“ Wenige Minuten zuvor hatte ich genau dieselbe Frage beantwortet – gestellt von ihren Freundinnen; sie hatten sie offenbar in ihrem Namen geschickt. Obwohl ich ihnen deutlich erklärt hatte, dass die Staatsbürgerschaft kein Hindernis darstellt, stand sie nun doch hier. Vielleicht hatte sie Zweifel an den Aussagen ihrer Freundinnen, vielleicht brauchte sie die Bestätigung aus erster Hand. In jedem Fall rührte mich ihr Mut, mich direkt anzusprechen und ich fühlte mich direkt in meine eigene Vergangenheit zurückversetzt.

Auch ich hatte einst diese Angst – dass mir mein Wunsch, Jura zu studieren, durch bürokratische Hürden verwehrt bleiben könnte. Damals hatte ich weder die deutsche Staatsbürgerschaft noch einen unbefristeten Aufenthaltstitel und die Unsicherheit war fast erdrückend. Doch ich wusste, was ich wollte und suchte mir einen Weg. Dieser Weg war manchmal umständlicher, manchmal mit mehr Aufwand verbunden, aber er war bestreitbar. Und so lächelte ich das Mädchen an, sagte ihr, dass sie sich keine Sorgen machen müsse, und bemerkte, wie sich die Spannung in ihren Schultern löste.

Erleichtert stellte sie mir noch ein paar weitere Fragen, insbesondere ob man als Ausländer*in Probleme mit der Fachsprache hätte. Ihre Sorge war nachvollziehbar, und ich bemühte mich, sie auch hier zu beruhigen. „Juristendeutsch“, erklärte ich, „ist kein normales Deutsch. Es ist eine eigene Sprache, die jeder lernen muss – unabhängig davon, ob Deutsch die Muttersprache ist oder nicht.“

Ich erzählte ihr, dass ich selbst in meinem ersten Semester oft Fachbegriffe nachschlagen und mir neue Ausdrücke wie Vokabeln aneignen musste. „Den einen fällt es leichter, den anderen schwerer – aber es ist machbar. Ich kenne Leute, die nur kurz in Deutschland gelebt haben, bevor sie mit dem Studium begonnen haben. Auch sie meistern den Alltag wie alle anderen.“ Das Mädchen nickte und ich konnte beobachten, wie die Erleichterung in ihrem Gesicht immer deutlicher wurde, bis sie sich schließlich mit einem dankbaren Lächeln in den Feierabend verabschiedete.

Dieser Moment erinnerte mich daran, wie wichtig es ist, jungen Menschen zu zeigen, dass ihre Träume erreichbar sind – unabhängig von Pass oder Herkunft. Manchmal braucht es nur ein bisschen Mut und einen Ansprechpartnerin, der*die einem die Ängste nimmt. "Manchmal fressen sich Ratten durch Wände". Dieses Zitat schoss mir immer wieder durch den Kopf, während ich mit dem Mädchen sprach. Es beschreibt auf metaphorische Weise, wie es sich anfühlt, Erfolg zu haben, wenn alles gegen einen zu sprechen scheint. Sich durch Wände zu fressen – das bedeutet, mit Mut und Entschlossenheit jedes Hindernis zu überwinden, auch wenn man sich fremd, fehl am Platz oder unverstanden fühlt.

Ich habe schon viele Gespräche mit jungen Menschen geführt, die glaubten, dass ihnen aufgrund ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft der Zugang zu höherer Bildung verwehrt bliebe. Nicht aus Mangel an Fähigkeiten oder aus Faulheit, sondern aus Angst. Angst vor Bürokratie, vor Ablehnung oder vor dem Scheitern. Und jedes Mal habe ich ihnen dasselbe mit auf den Weg gegeben: Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Lass dich von den Umständen nicht entmutigen.

Ich selbst bin ein Beispiel dafür, dass es funktionieren kann, selbst wenn der Weg steinig ist. Doch meine Geschichte wäre keine echte Erfolgsgeschichte, wenn ich nicht versuchen würde, so viele Menschen wie möglich daran teilhaben zu lassen. Jeder, derdie den Mut fasst, sich durch eine Wand zu kämpfen, ebnet den Weg für die, die danach kommen. Und für genau diese Momente – wenn ein junges Mädchen mit einem erleichterten Lächeln in den Feierabend geht – lohnt es sich, weiterzumachen.

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