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Machtwechsel in Syrien? Dafür steht die neue Regierung

Syrien bekommt eine neue Regierung – jünger, aber mit alten Strukturen. Was bedeutet das für das Land und seine Zukunft? Im syrien Update ordnet Chefredakteur Hussam die aktuellen Entwicklungen ein.

Machtwechsel in Syrien? Dafür steht die neue Regierung
Fotograf*in: Omar Ramadan auf Unsplash

Eid Mubarak! Ich hatte bereits am Dienstag in den migrantionsnews über Eid, hier in Deutschland als Zuckerfest bekannt, geschrieben und wollte mich eigentlich erst einmal ausruhen. Doch dann kam am Samstag die überraschende Meldung, dass der syrische Präsident Ahmad Al-Sharaaʿ eine neue Regierung gebildet hat.

In seiner Rede zur Vorstellung des Kabinetts verkündete er einige wichtige Neuerungen: Die Ministerien für Elektrizität und Öl werden zu einem Ressort, dem Energieministerium, zusammengelegt. Aus den Ministerien für Wirtschaft und Industrie entsteht ein gemeinsames Wirtschaftsministerium. Darüber hinaus kündigte Al sharaaʿ an, ein Ministerium für Notfälle und Katastrophen sowie ein Ministerium für Jugend und Sport einzuführen.

"Am Ende blieb einiges beim Alten"

Ich war sehr neugierig, wer künftig all diese Ministerposten besetzen würde. Wie viele andere Syrer*innen wollte ich unbedingt wissen, wer die neuen Gesichter dieser Regierung werden. Am Ende blieb dann aber auch einiges beim Alten. Asaad al-Shaibani  behält das Außenministerium, Marhaf Abu Qasra bleibt Verteidigungsminister. Das Innenministerium geht an den bisherigen Geheimdienstchef Anas Chattab, der somit Ali Kadda ablöst. Der ehemalige Regierungschef Muhammad al-Baschir wird Energieminister, während Mahir Al-Sharaaʿ – der Bruder des Präsidenten – sein Amt als Gesundheitsminister abgeben muss. Stattdessen leitet nun Musʿab Nazal al-ʿAli dieses Ministerium.

Auffällig ist das Alter vieler Minister. Zwölf von ihnen sind zwischen 1980 und 1992 geboren, was eine vergleichsweise junge Regierung bedeutet. Der jüngste Minister, Muhammad Anjarani, Jahrgang 1992, übernimmt das Ressort für lokale Verwaltung und Umwelt. Auch im Bereich administrative Entwicklung gab es eine Verjüngung: Muhammad Hassan Skaf (geboren 1990) ist nun zuständig für diesen Posten. Der älteste Minister ist Nidal asch-Schaʿar (geb. 1956), der das Wirtschaftsministerium führt, gefolgt vom Verkehrsminister Yaʿrub Badr (geb. 1959).

Es ist nur eine Frau in der neuen Regierung vertreten, die gleichzeitig Christin ist. Sie leitet das Ministerium für Soziale Angelegenheiten und Arbeit. Ansonsten dominieren nach wie vor Präsident Al-Sharaaʿs Vertraute: Die Schlüsselressorts Verteidigung, Inneres, Äußeres und Justiz bleiben in den Händen der „Behörde“, wie sie manche nennen. Es gibt jedoch einen kurdischen Bildungsminister, der allerdings keine politische oder militärische Kraft repräsentiert, und einen drusischen Minister, der ebenfalls ohne Unterstützung von religiösen oder bewaffneten Gruppen in die Regierung kam.

Ministerposten sorgen für Kritik

Ich persönlich war hin- und hergerissen, als ich die Rede zur neuen Regierung hörte. Einerseits macht sie Hoffnung: Präsident Al-Sharaaʿ und Teile seiner Ministerriege haben recht konkret über ihre Pläne gesprochen. Das klingt frisch und neu für Syrien. Andererseits stellt sich sofort die Frage, warum der Präsident beispielsweise den Justizminister Shadi al-Waisi im Amt gelassen hat, obwohl Videos aufgetaucht sind, in denen er angeblich 2025 Todesurteile gegen Frauen wegen „Ehebruchs“ ausgesprochen haben soll. In den Aufnahmen werden die Frauen durch Kopfschüsse getötet. Diese Videos führten zu heftiger Kritik an HTS und auch an der Regierung selbst.

Vielleicht deutet dieses Festhalten an radikalen Figuren an, wie Al-Sharaaʿ versucht, einen Balanceakt zwischen gestern und morgen, zwischen radikalen Gruppen und Gemäßigten und zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen zu vollführen.

Natürlich hoffen viele Syrer*innen, dass diese neuen, jüngeren und oftmals im Ausland ausgebildeten Minister Schwung in die verkrusteten Strukturen bringen. Gleichzeitig fragen sich einige, welcher religiösen Minderheit oder welcher Region jeder Einzelne angehört. Die Regierung hatte ja bereits vor der Bekanntgabe durchblicken lassen, dass es einen Kurden, einen Drusen und einen Alawiten als Minister geben würde. Es ist verständlich, dass manche diese Informationen sehr genau verfolgen, denn Syrien hat schmerzhafte Erfahrungen mit Spaltungen entlang konfessioneller Linien gemacht.

In den sozialen Medien und in den Redaktionen hierzulande gibt es geteilte Meinungen. Eine Gruppe sieht alles, was Al sharaa macht, grundsätzlich positiv, andere halten es für einen reinen PR-Gag. Einige wiederum bewerten die Regierung nur aus ihrer politischen, konfessionellen oder ideologischen Perspektive. Aber in einem Punkt sind sich alle einig: Die neue Regierung steht vor riesigen Herausforderungen.

Die Frage ist, ob wir zunächst abwarten sollten, was sie umsetzt – oder ob wir ab Tag eins Kritik und Druck ausüben sollten, damit die Regierung lernt, damit konstruktiv umzugehen. Letztlich wird nur die Zeit zeigen, ob es gelingt, mehr Stabilität für Syrien zu erreichen. Wir alle wünschen uns, dass das Land in fünf Jahren deutlich gefestigter dasteht.

Unterschiedliche Reaktionen auf die neue Regierung

Parallel dazu gibt es Reaktionen von anderen Akteuren: Die kurdische Selbstverwaltung erklärte am Sonntag, dass sie sich nicht an die Beschlüsse der neuen Regierung gebunden fühle. Sie kritisierte, dass in dem Kabinett nur ein einziger kurdischer Minister vertreten sei und sah darin eine deutliche Parallele zu früheren Regierungen, in denen die Vielfalt des Landes nicht ausreichend abgebildet wurde.

Die internationale Presse äußerte sich ähnlich zwiespältig. Die britische Zeitung Independent schrieb am Sonntag, die neue syrische Regierung bestehe zwar aus einem religiösen und ethnischen Mix, jedoch weiterhin ohne einen Premierminister. Sie habe zudem auf die Präsenz von Minderheiten – etwa Alawiten oder Frauen – hingewiesen und dies als Botschaft an den Westen interpretiert, wirtschaftliche Sanktionen zu lockern. Im Vordergrund stehe die Aufgabe, den Krieg zu beenden und konfessionell motivierte Auseinandersetzungen zu beenden, insbesondere nach den jüngsten Zwischenfällen in den Küstenregionen.

Die New York Times bezeichnete die Regierungsbildung als „Test“ dafür, ob der syrische Staat es wirklich ernst meint mit seinen Versprechen, eine Regierung für alle Syrer:innen zu bilden. Sie sieht in der neuen Zusammensetzung zumindest teilweise eine Reaktion auf  gesellschaftlichen Druck und internationale Forderungen für das Aufheben der Sanktionen.

In diesem Spannungsfeld zwischen Euphorie, Skepsis und der drängenden Frage nach der Zukunft Syriens bleibt nur zu hoffen, dass die neue Regierung – jung, gemischt und nach wie vor von Präsident al-Sharaa kontrolliert – wirklich die Kraft und den Willen hat, Veränderungen umzusetzen. Unklar ist allerdings, wie viel Freiraum al-Sharaa  seinem neuen Kabinett tatsächlich einräumt, damit es seine Pläne in die Tat umsetzen kann.

Währenddessen feiern wir das Eid al-Fitr zum Ende des Ramadan und wünschen uns alle einen Neubeginn: Eid Mubarak!

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