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Machtkampf um IS-Gefängnisse im Nordosten Syriens

Die Diskussion um den Verbleib der IS-Gefängnisse in den von den „Syrischen Demokratischen Kräften“ (QSD) kontrollierten Gebieten im Nordosten Syriens sorgt seit dem Sturz des Regimes für heftige Kontroversen. Unter stetigem lokalen, regionalen und internationalen Druck wird nach einer grundlegenden

Machtkampf um IS-Gefängnisse im Nordosten Syriens
Fotograf*in: izhar khan/Pexels

Die QSD hat wiederholt ihre Ablehnung bekräftigt, die Gefängnisse, in denen IS-Kämpfer inhaftiert sind, an die Übergangsregierung in Damaskus zu übergeben. Gleichzeitig mehren sich die Warnungen vor einem möglichen Wiedererstarken des IS – sei es durch das Ausnutzen von Sicherheitslücken oder durch gezielte Angriffe auf Haftanstalten.

Laut Stellungnahmen, die von der Nachrichtenagentur Reuters veröffentlicht wurden, erklärte ein Verantwortlicher der QSD, man sehe keine Möglichkeit, die Kontrolle über die Gefängnisse mit der Übergangsregierung in Damaskus zu teilen. Die Sicherung dieser Einrichtungen liege allein in der Verantwortung der internationalen Koalition und der QSD. Diese Haltung begründet sich mit früheren Erfahrungen, als der IS nach dem Zusammenbruch des Regimes an große Mengen Waffen gelangte und mehrere Aktionen startete, um inhaftierte Mitglieder zu befreien.

QSD befürchtet, dass jedes Nachlassen im Sicherheitsapparat dem IS ermöglichen könnte, seine Reihen neu zu formieren. Diese Befürchtung ist umso größer, seit die neue Führung in Damaskus stark damit beschäftigt ist, das Land zu einen und die verschiedenen bewaffneten Gruppen unter dem Dach des Verteidigungsministeriums zu integrieren. QSD verweist insbesondere auf das Gefängnis „Ghuweran“ (as-Sina’a) in al-Hasaka, das früher Ziel von Angriffen war, um Hunderte von Kämpfern zu befreien, ebenso wie ähnliche Versuche beim Lager al-Hol, in dem Angehörige von IS-Kämpfern untergebracht sind.

Die Rolle der internationalen Koalition und von QSD

QSD erhält militärische und logistische Unterstützung durch die internationale Koalition gegen den IS. Das erlaubt ihr, die Gefängnisse zu verwalten und die Aktivitäten der IS-Kämpfer zu überwachen. Trotz des Sturzes des früheren syrischen Regimes setzt QSD ihre Bodenoperationen gegen IS-Schläferzellen fort und stimmt sich dabei eng mit den Koalitionskräften ab.

Doch diese bisherige Praxis ist abhängig von der Entwicklung der Lage vor Ort, vor allem davon, wie die laufenden Verhandlungen über den Anschluss des Nordostens Syriens an die Übergangsregierung in Damaskus ausgehen werden. Die neuen Machthabenden in Damaskus drängen auf die Übernahme aller Staatsinstitutionen – darunter auch der Gefängnisse. QSD lehnt dies kategorisch ab.

Regionale Pläne zur Lösung der Gefängnis- und Lagerkrise

Parallel dazu laufen intensive Gespräche zwischen Bagdad, Ankara und Damaskus unter amerikanischer Schirmherrschaft, um eine Lösung zu finden, die eine Auflösung der Gefängnisse und Lager mit IS-Kämpfern und deren Familien ermöglicht. Der irakische Plan sieht insbesondere vor, das Gefängnis „Ghuweran“ und das Lager al-Hol zu schließen. IS-Kämpfer aus anderen Ländern sollen in ihre Heimatländer rückgeführt oder nach Irak gebracht werden, wo sie vor Gericht gestellt werden können. Irak selbst würde die Rücknahme seiner Staatsangehörigen übernehmen und sie dem Justizsystem unterstellen.

Bagdad ist besonders darauf bedacht, eine Massenflucht – wie im Jahr 2022 beim Angriff auf das Gefängnis „Ghuweran“ – zu verhindern, die eine ernste Bedrohung für die an Syrien angrenzenden Gebiete im Irak darstellt. Auch Ankara sorgt sich über einen möglichen Rückzug von IS-Angehörigen in Richtung türkischer Grenzen. Daher schlug die Türkei den Aufbau sicherer Lager entlang ihres Grenzstreifens vor, in die die Familien von IS-Kämpfern vorübergehend umgesiedelt werden könnten, bis größere Lager wie al-Hol aufgelöst werden.

Kontroverse über die Verwaltung der Lager und der Familien der Kämpfer

Neben den Gefängnissen stehen auch das bereits erwähnte Lager al-Hol und Roj im Mittelpunkt der Debatte. Dort leben tausende Frauen und Kinder von IS-Kämpfern, die mehrheitlich verschiedene Staatsbürgerschaften aus über 60 Ländern besitzen. Menschenrechtsorganisationen betonen, dass es sich um eine enorme rechtliche und humanitäre Herausforderung handelt. Viele Staaten zeigen sich jedoch zögerlich, ihre Bürger*innen zurückzunehmen. Gleichzeitig fordern sie von den lokalen syrischen Behörden, die Sicherheits- und Versorgungsverantwortung für die Betroffenen zu übernehmen.

QSD pocht auf die Pflicht der Herkunftsländer, ihre Bürgerinnen zurückzuholen, sie entweder gerichtlich zu verfolgen oder die Kinder zu resozialisieren. Internationale Akteurinnen wie die USA fordern ebenfalls, dass sich diese Länder ihrer Verantwortung stellen und unterstützen Bemühungen, die Lage in den Lagern zu stabilisieren.

Die Zukunft der Akte angesichts neuer Absprachen

Eine baldige Lösung für die Frage der IS-Gefängnisse und Lager ist momentan nicht in Sicht, da zahlreiche lokale, regionale und internationale Interessen kollidieren:

  1. Während Damaskus die Kontrolle über alle Gebiete, auch über die Gefängnisse und Familien von IS-Kämpfern, anstrebt, lehnt QSD das entschieden ab, solange es keine Garantien für die Sicherheit und Rechte ihrer Verbündeten gibt.
  2. Ankara sieht in QSD einen Gegner, den es einschränken möchte, während Bagdad die Situation als Sicherheitsbedrohung für seine Grenzen ansieht.
  3. Washington und europäische Staaten agieren vorsichtig, da sie eine geordnete Beilegung der Krise wünschen und zugleich ihre militärische Zusammenarbeit mit QSD beibehalten wollen, ohne ein erneutes Erstarken des IS zuzulassen.

Trotz der Vielzahl an beteiligten Akteur*innen, die sich in die Diskussion über die IS-Gefängnisse und die Familien der Kämpfer im Nordosten Syriens einschalten, bleiben die Zuständigkeiten vor Ort aus Interessenkonflikten eingeschränkt. QSD befürchtet, dass jede Destabilisierung den IS wieder erstarken lassen könnte. Zahlreiche Vorschläge zur Lösung stehen im Raum, ihre Umsetzung hängt jedoch von einem klaren regionalen und internationalen Konsens darüber ab, wie man die Kämpfer und ihre Angehörigen übergibt und vor Gericht stellt, die Grenzgebiete sichert und den Bau neuer Gefängnisse oder Lager finanziert.

Das worst-case-Szenario wäre ein Anhalten der gegenwärtigen Pattsituation. Dadurch bliebe die Region unter der ständigen Bedrohung eines Sicherheitskollapses, der dem IS neue Angriffe auf Gefängnisse erleichtern würde. Eine Einigung, die die Interessen aller Parteien berücksichtigt, könnte jedoch die Gefahr bannen und eine Phase dringend benötigter Stabilität im Nordosten Syriens einläuten.

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