„Meine Mutter trägt Kopftuch und betet fünfmal am Tag und trotzdem müssen wir sie nicht retten.“ Lana Sirri (42) hat ein kämpferisches Funkeln in den Augen, als sie davon erzählt, wie ihr aufgefallen ist, dass sich ihr Bild der muslimischen Frau grundlegend von dem Ruf der westlichen Perspektive unterscheidet. Für die palästinensische Akademikerin, Autorin und Aktivistin Lana Sirri hat das Image der muslimischen Frau nämlich nichts mit ihrer Realität zu tun.
Muslimische Feministinnen
Geboren und aufgewachsen ist Lana in Jaffa (Israel/Palästina) und lebt seit 2008 in Berlin, wo sie im Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung der Humboldt-Universität promoviert hat. Dort hat sie ihre Dissertation zum Thema islamische Feminismen verfasst. Nach Abschluss wurde sie zur Assistant Professor für Geschlecht und Religion an der Universität Maastricht ernannt. Derzeit hat sie ein Forschungsstipendium des niederländischen Forschungsrats erhalten und führt ihre Forschung an der Universität Amsterdam durch.
Zudem hat Lana die Gruppe „Berlin Muslim Feminists“ mitgegründet, die sich für muslimische Ethik und einen intersektionalen Feminismus engagiert. Die Gruppe befasst sich mit verschiedenen Herausforderungen, denen Muslime in Deutschland gegenüberstehen, darunter das Neutralitätsgesetz. Der Staat würde somit über den Körper muslimischer Frauen bestimmen und damit zur Unterdrückung und Kategorisierung durch die Gesellschaft beitragen. Der islamische Feminismus hat bei Lana ein Feuer entfacht, dass ihr den Antrieb gibt, sich immer tiefer mit der Thematik und der gesamten Ausprägung auseinanderzusetzen.
Reiht man die Begriffe Emanzipation, Feminismus und Islam nebeneinander, so sehen womöglich nicht alle Menschen, insbesondere weiße Mainstream-Feminist*innen einen Zusammenhang. Dieses vorgefertigte Bild vom Islam und Feminismus, und der damit einhergehende Rassismus veranlassten Lana, sich mit dem islamischen Feminismus – einem intersektionalen – zu beschäftigen.
Der islamische Feminismus hat es sich zum Auftrag gemacht, den Koran gender- und sexualitätssensibel zu interpretieren, um bestehende Machtmonopole und patriarchale Strukturen zu hinterfragen. „Es gibt keinen fixen oder statischen Islam, wie er hier in Deutschland als unveränderliches Konstrukt kategorisiert wird. Als universelle und für alle Zeiten geeignete Religion ist der Islam Veränderungen unterworfen“, erklärt Lana.
Perspektivwechsel
Die islamische feministische Forschung beschäftigt sich eingehend mit der Intersektionalität von Religion, Gender und Sexualität, und anderen sozial konstruierten Identitätskategorien. Da Wissensvermittlung und gesellschaftliche Reichweite auf Lanas akademischem Werdegang unverzichtbar sind, hat sie 2016 (und 2020) das Buch „Einführung in islamische Feminismen“ veröffentlicht. Dieses Buch macht unterschiedliche Perspektiven des islamischen Feminismus zugänglich und beleuchtet den großen Beitrag muslimischer Frauenfiguren zu Geschlechtergerechtigkeit und gesellschaftlicher Gerechtigkeit.
„Am meisten wünsche ich mir, dass diese Debatte auch in der Gesellschaft außerhalb von akademischen Kreisen Raum findet.“
Um noch jüngere Leserinnen zu erreichen und das „hätte ich doch nur damals gewusst, was ich jetzt weiß“- Gefühl zu vermeiden, hat Lana die interaktive Graphic Novel „Shababz! Jung. Muslimisch. Selbstbestimmt.“ veröffentlicht. Das Buch befasst sich mit den anti-muslimischen Vorurteilen, denen muslimische Jugendliche ausgesetzt sind, und verwandelt ihre eigenen Erfahrungen in wertvolles Wissen, Empowerment und Selbstbestimmung. Lana beschreibt die Arbeit an dem Buch und mit seinen vier Protagonistinnen als herausfordernde Reise, die ihr Selbstermächtigung und Trost in schwierigen Zeiten gespendet hat.
Damit junge Muslime von diesem Buch zehren können, kann es von migrantischen Menschen und Organisationen, oder von Menschen, die Bildungsarbeit zu dem Thema betreiben, kostenlos (solange der Vorrat reicht) direkt unter: lana.sirri@gmail.com angefragt werden.
Muslimische Frauen haben zwar immer noch mit Intersektionalität zu kämpfen und werden oft von feministischen Diskursen ausgenommen, dennoch blickt Lana optimistisch in die Zukunft: „Ich bin begeistert davon, wie die Pluralität von muslimisch und feministisch sein immer mehr gelebt wird“, erzählt sie strahlend, während sie an die ganzen Errungenschaften denkt, die muslimische Feminist*innen bereits erreichen konnten. Mit einem breiten Grinsen berichtet Lana stolz, dass sie es bis jetzt geschafft hat, ohne Social Media auszukommen.
Lana Sirri, eine Autorin, Akademikerin und Aktivistin, die durch Durchsetzungsvermögen und Vielseitigkeit überrascht.