Humayun hat Pläne, Ziele. Zum Beispiel, die deutsche Sprache zu erlernen. Und doch weiß er, dass dies ein schwieriger, langwieriger Prozess sein wird. Aber der junge Mann aus Afghanistan hat einen Entschluss getroffen: Er will hier in Deutschland bleiben, will sich hier ein Leben aufbauen. Dafür braucht er Kenntnisse der deutschen Sprache – um sich weiter zu integrieren, um Gespräche zu führen, einfach, um am alltäglichen Leben teilnehmen zu können. Deswegen ist Humayun ein regelmäßiger und gern gesehener Gast beim offenen Sprachtreff, organisiert durch den Verein Kiel hilft e. V.
Deutsch, Kaffee und Hausaufgaben
Dieses Angebot richtet sich an alle Geflüchteten, ganz gleich aus welchem Land sie kommen und wie lange sie schon in Deutschland leben. Hier wird gemeinsam Deutsch gesprochen, bei den Hausaufgaben geholfen, dabei Kaffee und Tee getrunken, und vor allem ganz, ganz viel gelacht.
„Mir gefällt die lockere, entspannte Atmosphäre. Die Menschen, die sich hier um uns kümmern, machen das alles ehrenamtlich, das finde ich bemerkenswert. Und es hilft mir sehr, dass meine Fehler, ganz gleich ob Grammatik oder Aussprache, sofort korrigiert werden“, erklärt Humayun, „dadurch lerne ich sehr viel und werde gleichzeitig auch sicherer im Sprechen.“

Humayun möchte in Kiel gern eine Ausbildung beginnen
Sei Dezember 2023 ist Humayun in Kiel. Seine Flucht führte ihn zunächst über den Iran und die Türkei nach Griechenland, von dort ging es weiter nach Deutschland. Er war lange unterwegs, zahlte den Schleppern viel Geld, hat dafür hat er seine ganzen Ersparnisse verbraucht.
Einsamkeit und Angst
„Das Schlimmste war eigentlich die Einsamkeit und dass ich ganz alleine auf diesem Weg gewesen bin. Ich hatte ziemlich oft Angst. Aber die Hoffnung auf ein besseres und vor allem friedlicheres Leben, hat mich dann doch immer weiter angetrieben. Aufgeben war zu keinem Zeitpunkt eine Option“, erinnert sich Humayun.
Der Blick aus seinen tiefdunklen Augen ist wach und aufmerksam. Doch manchmal, wenn er von seiner Heimat, von seiner Familie erzählt, lässt sich ein Funken von Trauer, von Resignation erkennen. Humayun hat viele schlechte, traumatische Erfahrungen gemacht. Er kämpfte in seinem Heimatland gegen die Taliban, kennt Gewalt, Mord, Waffen und den zivilen Widerstand. Während eines Gefechts wurde er im Kugelhagel angeschossen, hat seitdem zwei große Narben am unteren Rücken.
„Ich bin froh, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Und ich bin sehr dankbar, dass ich jetzt hier in Deutschland, in Sicherheit leben kann“, sagt Humayun.
Vertrauen fassen
Der Verein Kiel hilft e. V. wurde von zehn Jahren gegründet, kurz bevor 2015 viele Geflüchtete auch Deutschland erreichten. Seitdem haben die Ehrenamtlichen sehr vielen Geflüchteten dabei geholfen, in Kiel anzukommen, die deutsche Sprache zu lernen, sich zu integrieren. Gesellschaftlicher Zusammenhalt, ein funktionierendes Miteinander – darum geht es Kiel hilft e. V. Und: Der Verein ist seit seiner Gründung zu einer unverzichtbaren Anlaufstelle für Geflüchtete in der Region geworden, über 3.000 Menschen haben hier bereits Hilfe und Unterstützung erfahren.
Von Anfang an mit dabei ist Ilona Pagel. Ilona strahlt etwas sehr Warmes und Ruhiges aus. Ihre Schüler fassen schnell Vertrauen, erzählen ihr oft auch private Dinge, die sie beschäftigen, die in ihrem Leben gerade präsent sind.

Ilona Pagel hilft Geflüchteten dabei, die deutsche Sprache zu lernen
„Es ist nicht so, dass nur die Geflüchteten etwas lernen, etwas mitnehmen aus unseren Sprachtreffs. Auch wir Anleiter lernen durch den Unterricht, durch die Gespräche ganz, ganz viel“, schildert Ilona, „und wir helfen diesen Menschen dabei, sich in unsere Gesellschaft integrieren zu können. Das ist sehr wichtig. Mir persönlich gibt dieses Ehrenamt immer das Gefühl, etwas wirklich Sinnvolles zu tun.“
Ilona ist studierte Agrar-Ingenieurin. Wie viele ihrer Mitstreiter*innen hat auch sie keinen pädagogischen Hintergrund. Dafür aber immens viel Lebenserfahrung, die sie gern weitergibt. Und sie kann gut erklären, ist dabei sehr ruhig, geduldig, emphatisch.
Mangel an Therapieplätzen
Sie sagt, dass die Integration in Deutschland schon gut funktioniere, gleichzeitig prangert sie aber auch an, macht auf Missstände aufmerksam:
„Was unser Staat nicht leistet, ist es, die Traumata der Geflüchteten adäquat zu behandeln. Viele brauchen schlichtweg professionelle Hilfe, sie haben einfach so viel Schlimmes erlebt, was sie nicht alleine verarbeiten können. Doch diese medizinische Versorgung läuft nicht rund.“
Hoffnung nicht aufgeben
Das trifft auch auf Humayun zu. Oft kann er nachts nicht schlafen, weil die Bilder in seinem Kopf zu präsent sind, die Erinnerungen ihn verfolgen, er nur schwer loslassen kann. Einen Therapeuten hat er nicht. Dafür aber Pläne: Einen Deutschkurs anfangen, die Schule besuchen, einen Ausbildungsplatz finden.
Er sieht seine Zukunft mit Hoffnung: „Ich habe bereits einen langen Weg hinter mir, aber ich bin bereit, noch weiterzugehen. Hier in Deutschland kann ich neu beginnen.“

Maha kommt oft und gern zum offenen Sprachtreff
Unterstützung findet er dabei auch durch Ilona, die mit viel Empathie und Geduld Brücken baut – Brücken zwischen den einzelnen Kulturen. Denn am Ende ist es diese Verbindung zwischen Menschen, die das Fundament für eine funktionierende Integration legt und Geflüchteten wie Humayun die Kraft gibt, Träume zu verwirklichen.

Ilona und Maha lernen gemeinsam die deutsche Grammatik