Kateryna Rumyantseva (30) kann sich noch genau an den 24. Februar 2022 erinnern. Einen Tag bevor die russische Armee die Ukraine überfiel, erhielt sie noch ein Paket aus der Ukraine; sie hatte eine Vyshyvanka, eine traditionelle Stickereibluse, bestellt. Dann, nicht einmal 24 Stunden später, veränderte sich ihr Leben schlagartig. „Ich weiß noch, dass ich an dem Tag um 7:12 Uhr aufgewacht bin“, erinnert sie sich. „Als ich die Nachrichten eingeschaltet habe, wusste ich sofort: Der Krieg hat angefangen. Mein Vater hat mir dann am Telefon erzählt, dass er von seinem Haus in Charkiw Panzer und Explosionen sieht.“
Im September 1999 kam Kateryna als jüdische Kontingentgflüchtete nach Deutschland. Gemeinsam mit ihrer Mutter war sie ihrer Großmutter nach Hamburg gefolgt. „Zu der Zeit war das Leben in der Ukraine kein Spaß. Es gab viel Kriminalität und meine Mutter hatte viele schlechte Erfahrungen in der Sowjetunion gemacht. Deshalb wollten wir weg aus Charkiw, weg aus der Ukraine.“
Die ersten Jahre in Deutschland waren für Kateryna nicht leicht. Obwohl sie kein Deutsch verstand, spürte sie, dass ihre Mitschüler*innen sie deswegen mobbten. Doch Kateryna lernte die Sprache schnell, machte ihr Abitur und studierte Wirtschaftsrecht in Lüneburg. Wenn man sie heute Deutsch sprechen hört, könnte man kaum glauben, dass sie sich nicht in ihrer Muttersprache unterhält.
Bookish girl
In der Infozeile ihres Instagram-Accounts steht: „Ukraine-jewish bookish girl für die Osterweiterung der Rassismusdebatte in Wort und Schrift“. Die soziale Plattform nutzt sie, um über Bücher zu sprechen. „Am Anfang waren das vor allem Bücher über Feminismus, Antisemitismus, Antislawismus und Migration. Jetzt möchte ich meinen Kanal nutzen, um ukrainischen Schriftsteller*innen Sichtweite und Gehör zu verschaffen.“
Doch Kateryna ist nicht nur in den sozialen Medien aktiv. Seit dem Kriegsbeginn engagiert sie sich neben ihrer Arbeit als Business Consultant ehrenamtlich für den Verein „Feine Ukraine“. Sie ist für die Pressearbeit verantwortlich und berichtet über die vielen Aktivitäten des deutsch-ukrainischen Vereins. Diese reichen von Dolmetscher*innentätigkeiten bis hin zur Organisation von Geburtstagsfeiern für ukrainische Kriegsverletzte. „Wir wollen den Geflüchteten und Kriegsverletzten aus der Ukraine die Möglichkeit der Teilhabe geben“, sagt sie, „damit sie in ihrer Unterkunft nicht eingehen wie Gemüse.“
Reise in die Heimat
Zusätzlich zur Pressearbeit organisiert Kateryna regelmäßige Kundgebungen und Demonstrationen. Gemeinsam mit den Jugendorganisationen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen möchte sie Aufklärungsarbeit leisten und der deutschen Bevölkerung die ukrainische Kultur näherbringen. „Dabei entdecke ich auch meine eigenen Wurzeln“, sagt sie.
Im April 2023 ist sie daher auch das erste Mal in die Ukraine gereist und hat sich auf Spurensuche begeben. „Ich war von den vielen Eindrücken wie betäubt“, erinnert sich Kateryna. „So viele Erinnerungen, die auf mich eingeprasselt sind, als ich bei meinem alten Elternhaus war. Dort habe ich dann ein Foto nachgestellt, auf dem ich als kleines Kind vor dem Haus stehe.“ Doch die Reise war auch mit viel Verlustgefühlen verbunden: „Meine Großmutter väterlicherseits ist kurze Zeit später verstorben“, erzählt sie. „Und auch der Gedanke daran, dass viele Orte bei meinem nächsten Besuch wahrscheinlich kriegszerstört sind, macht mich sehr traurig.“
Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges spürt Kateryna auch in ihrer eigenen Familie. Der neue Ehemann ihrer Mutter kommt aus Russland und glaubt die russische Propaganda. „Er ist ein lieber Mensch, aber ich bin froh, dass ich nicht mehr zuhause wohne“, sagt sie. „Wir haben uns einmal sehr doll gestritten, weil er nicht wollte, dass ich Ukrainisch spreche. Seitdem vermeide ich jedes Gespräch mit ihm.“
Doch Kateryna ist Optimistin und kann auch etwas Positivem in all dem sehen: „Immerhin hat sich die Beziehung zu meinem Vater stark verändert. Vor dem Krieg hatten wir immer nur an Feiertagen Kontakt, jetzt hören wir uns täglich“, sagt sie mit einem Lächeln in der Stimme.